Notiert inLondon

Wahn und Wahlkampf

Wenn sich jemand mit einem Wahlsieg von Labour noch nicht abgefunden hat, dann die Workers Party of Great Britain. Sie kommt sogar nach Wandsworth.

Wahn und Wahlkampf

Notiert in London

Wahn und Wahlkampf

Von Andreas Hippin

Es hätte misstrauisch machen müssen, dass die Ankündigungen einer Debatte mit den lokalen Kandidaten für die Parlamentswahlen so plakatiert waren wie die Werbung für ein Punkkonzert im Jugendzentrum. Außerdem hatte die Moderatorin die Politiker „in der historischen Tradition der 1647 Putney Debates“ gleich zu einer ganzen Reihe von Diskussionsforen eingeladen: über Krieg und Frieden, die Zukunft der Menschheit und den ganzen Rest.

Doch wirkte zumindest der Veranstaltungsort, die nahegelegene Grundschule, einigermaßen vertrauenerweckend. Und der bisherige Wahlkampf ließ an Dynamik stark zu wünschen übrig. Die einzige Kandidatin, die an die Tür klopfte, war die Labour-Unterhausabgeordnete Fleur Anderson. Die örtlichen Tories schafften es nur noch, ihre Wahlwerbung durch den Briefschlitz zu werfen, wenn sie es nicht gleich dem Postboten überließen.

„Stimmt für Gaza“

Schon am Eingang drückten einem Aktivisten der Workers Party of Great Britain eine Menge Lesestoff in die Hand. „Stimmt gegen Völkermord. Stimmt für Gaza“, hieß es auf einem Flugblatt, das den lokalen Kandidaten Heiko Khoo vorstellte. Auf einem anderen wurde Anderson dafür angeschwärzt, dass sie nicht aus der Gruppe Labour Friends of Israel austrat.

In der Aula der Schule war noch reichlich Platz für Publikum. Nur wenige Menschen waren gekommen. Von den Kandidaten erschienen nur Peter Hunter von Nigel Farages Rechtspartei Reform UK, Kieren McCarthy von den Liberaldemokraten und der bereits erwähnte Khoo. Anderson wusste offenbar, was sie erwartet, und erschien gar nicht erst. Lee Jamie Roberts von den Tories ließ sich entschuldigen.

Zynische Strategie

Nach ein paar Runden harmlosen Geplänkels, bei dem man erfuhr, dass Hunter einmal bei den Tories war und McCarthy erstaunlich gut über lokale Belange unterrichtet ist, begannen die Fragen aus dem Publikum zu Gaza. Wie sich herausstellte, hatte Khoo seine Unterstützer als Stichwortgeber mitgebracht. Dabei wird am 4. Juli kein Parlament gewählt, das den Krieg beenden könnte.

Es ist eine zynische Strategie: Die Workers Party will Labour die Stimmen von Muslimen und Linken streitig machen, die über den von der Hamas losgetretenen Krieg entsetzt sind. Ihr Führer, George Galloway, zog auf diese Weise bereits bei einer Nachwahl ins Unterhaus ein.

Corbyns langer Schatten

Khoo war nach eigenem Bekunden seit 1980 Mitglied der Labour Party und gehörte zu den Unterstützern des ehemaligen Parteichefs Jeremy Corbyn. Er hat den dialektischen Materialismus so gut studiert, dass er jede Frage auf dessen Grundlage beantworten konnte. Doch als die Debatte Richtung Gaza abkippte, verließ der Großteil des Publikums zügig den Veranstaltungsort. Als Anbieter eines Stadtrundgangs zu Karl Marx müsste er eigentlich mehr Gefühl für die Stimmung seiner Zuhörer haben. Ironie der Geschichte: Khoo stammt aus der DDR und macht eigentlich einen ganz umgänglichen Eindruck.

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