LeitartikelSchottland am Scheideweg

Nationalisten im Abwind

Nach 17 Jahren an der Macht wächst die Kritik an Schottlands Nationalisten. Wichtigere Themen als die Unabhängigkeit rücken in den Fokus.

Nationalisten im Abwind

Schottland

Nationalisten im Abwind

Unabhängigkeit ist nicht mehr Thema Nr.1. Nach 17 Jahren an der Macht wächst die Kritik an Schottlands Regierung.

Von Andreas Hippin

Vor einem Vierteljahrhundert nahm das schottische Regionalparlament in Holyrood seine Tätigkeit auf. Es war Labour-Premierminister Tony Blair, der nach seinem Erdrutschsieg bei den Unterhauswahlen 1997 die Dezentralisierung Großbritanniens auf die Tagesordnung gesetzt hatte. Devolution lautete das Zauberwort. Doch die mit der Übertragung von immer mehr Kompetenzen an die Regionen verbundenen Hoffnungen wurden enttäuscht. Das liegt vor allem daran, dass seit 17 Jahren die Scottish National Party (SNP) regiert, der es einzig und allein um die Unabhängigkeit geht.

Muffiger Kulturnationalismus

Auf dem Kontinent erfreuten sich die schottischen Nationalisten großer Beliebtheit. Das Konzept Europa der Regionen, das regionale Eigenständigkeit innerhalb der EU fördern sollte, erwies sich als Booster für einen muffigen Kulturnationalismus, der im 19. Jahrhundert besser aufgehoben gewesen wäre. Im Vereinigten Königreich blühte er nicht nur in Schottland auf, sondern auch in Nordirland und Wales.

Nicola Sturgeon verbrachte neun Jahre an der Spitze der schottischen Regionalregierung damit, ein zweites Referendum zu fordern, nachdem sich beim ersten Anlauf 2013 keine Mehrheit für den nationalen Alleingang gefunden hatte. Das Votum der Briten für den Brexit gab ihr die Chance, Schottland als Opfer zu präsentieren. Schließlich habe die Mehrheit der Schotten gegen den EU-Austritt votiert. Es müsse also erneut über den Verbleib im Vereinigten Königreich abgestimmt werden. Doch sie bekam kein weiteres Referendum, auch nicht vom Supreme Court. Die Mehrheit der schottischen Bevölkerung will keine Wiederholung der extremen Polarisierung, die der letzten Volksabstimmung vorausging.

Enormes Haushaltsdefizit

Als Sturgeon im Februar vergangenen Jahres zurücktrat, zeigten sich die Auswirkungen einer Politik, die Themen wie Bildung, Gesundheit und Verkehr konsequent vernachlässigt hat, immer deutlicher. In Schottland lief es nicht besser als in England, wo die verhassten Tories regieren. Die Region erhält zwar aus Westminster einen Lastenausgleich, der so manches deutsche Bundesland neidisch machen würde, hat aber eines der größten Haushaltsdefizite in der entwickelten Welt. Letztlich bezahlen die englischen Steuerzahler die sozialen Wohltaten der Nationalisten.

Wie in jeder Partei, die zu lange regiert, zeigen sich Verfallserscheinungen. Es laufen Ermittlungen wegen Veruntreuung von Parteigeldern. Dabei geht es darum, ob rund 600.000 Pfund, die Anhänger für ein weiteres Referendum spendeten, zweckentfremdet wurden. Nach Sturgeons Rücktritt entbrannte eine Schlammschlacht um ihre Nachfolge, die Humza Yousaf, der Wunschkandidat der Parteispitze, für sich entschied.

Ein Bündnis mit den schottischen Grünen erwies sich als so schädlich für die Partei, dass Yousaf die Notbremse zog. Israel-Kritik und Transgender-Themen hatten für Mitglieder aus dem ländlichen Raum keine Priorität. Die ambitionierten Klimaschutzziele erwiesen sich als unerreichbar. Das geplante Einweg-Pfandsystem sorgte für großen Ärger mit dem Mittelstand und musste verschoben werden. Am Ende blieb Yousaf nur der Rücktritt. Denn der verprellte ehemalige Regierungspartner drohte, für ein Misstrauensvotum der Opposition zu stimmen.

Nun soll John Swinney als neuer Parteichef bei der SNP für Einigkeit sorgen. Vor 20 Jahren führte er schon einmal die Partei – damals noch in der Opposition. Seinerzeit wurde er von seinen Parteifreunden abgesägt, denen er im Vergleich zu Alex Salmond zu langsam und zu langweilig war. Unter Salmonds Führung kam die SNP nicht nur in Holyrood an die Regierung. Sie setzte auch das erste Unabhängigkeitsreferendum durch. Der farblose Swinney vermag dagegen nicht viel mehr, als ihren Abstieg zu verwalten.

Am Wochenende holten die spanischen Sozialisten bei den Regionalwahlen in Katalonien die meisten Sitze. Labour könnte es ihnen bei den kommenden britischen Unterhauswahlen in Schottland gleichtun.

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