LEITARTIKEL

Mittel im Fluss

Investoren sind unberechenbar. Während sich die Telekomriesen in der Vergangenheit der Präferenzen ihrer Kapitalmarktklientel sicher sein konnten und üppige Ausschüttungen stets ein wohlwollendes Echo fanden, musste sich der Telekom-Vorstand auf der...

Mittel im Fluss

Investoren sind unberechenbar. Während sich die Telekomriesen in der Vergangenheit der Präferenzen ihrer Kapitalmarktklientel sicher sein konnten und üppige Ausschüttungen stets ein wohlwollendes Echo fanden, musste sich der Telekom-Vorstand auf der jüngsten Hauptversammlung eine Rüge vom Großaktionär Union Investment anhören. Die Deutsche Telekom habe viel zu lange an einer “verfehlten” Dividendenpolitik festgehalten und Investitionen vernachlässigt. Dem muss entgegen gehalten werden, dass dem Gros der Investoren diese Einsicht bisher fehlt(e). Denn obwohl die Kursentwicklung in der gesamten Telekommunikationsbranche binnen Jahresfrist kein Quell der Freude ist, hat sich die T-Aktie immer noch besser geschlagen als der Sektor. Dafür dürfte die Dividendenkontinuität im Wesentlichen den Ausschlag gegeben haben.Dennoch hat die großzügige Ausschüttungspolitik der vergangenen Jahre viele Telekomfirmen in eine missliche Lage gebracht, nicht nur weil zu wenig investiert wurde, um den Aufbau neuer Geschäftsfelder voranzutreiben, sondern obendrein dort, wo die Ausschüttung aus der Substanz erfolgte, eine zu dünne Eigenkapitaldecke die relative Verschuldung aus dem Ruder laufen ließ. Durch die Eskalation der Eurokrise in Süd- und Osteuropa hat sich die Situation für Telecom Italia und Telekom Austria, selbst für Telefónica schnell zugespitzt. Am schlimmsten traf es indes KPN, die bei ihren jahrelang mit steigenden Dividenden und Aktienrückkäufen verwöhnten Aktionären nun Milliarden wieder einwerben musste, um überhaupt noch investieren und überleben zu können.Nachdem die Branche selbst inzwischen unisono ihren angestauten Investitionsbedarf beklagt und der Politik einen durch falsche Regulierung verursachten Mittelentzug vorwirft, sollten die Unternehmen jedenfalls selbst jede Kapitalreallokation kritischer als zuvor prüfen. So werden Aufräumarbeiten im Beteiligungsportfolio allzu schnell mit der Hoffnung auf üppige Sonderausschüttungen verknüpft. Das weckt Begehrlichkeiten und führt bei manchen Projekten zu einer Eigendynamik, die eine sinnvolle Überprüfung von Alternativen vermissen lässt. So hat etwa Vodafone in den vergangenen Jahren Erlöse aus dem Verkauf von Minderheitsbeteiligungen in China, Polen und Frankreich weitgehend ausgeschüttet. Derweil offenbaren die Netze in den europäischen Mehrheitsgesellschaften teilweise erheblichen Aufrüstungsbedarf. Beim immer wieder ventilierten Ausstieg bei Verizon Wireless in den USA drohte ein “unmoralisches Angebot” des Joint-Venture-Partners Verizon die Diskussion über die strategische Sinnhaftigkeit eines solchen Exits aus dem wichtigsten Telekommunikationsmarkt der Welt in den Hintergrund zu drängen. Wohl könnte Vodafone ihre Aktionäre mit einem 130-Mrd.-Dollar-Scheck beglücken, aber danach auch mit der Aussicht auf mittelfristig schrumpfende Erlöse und Erträge aus dem verbleibenden europäischen Portfolio, die von den noch relativ kleinen Aktivitäten in den Emerging Markets nicht ausgeglichen werden können.Die Deutsche Telekom, die einen späteren Verkauf der nun durch den Zusammenschluss mit MetroPCS gestärkten US-Tochter weiterhin im Blick hat, muss zwar vorläufig nicht den Verlust eines Wachstumstreibers bedenken, aber auch hier ist die Frage nach einer Reallokation der Mittel nicht leicht zu beantworten. Der Vorstand setzt seine Hoffnungen auf neue Produkte, die hohe Investitionen in die Netzinfrastruktur notwendig machen. Nach längerem Zögern geht das Unternehmen ins Risiko und erhöht die Ausgaben dafür kräftig – auch vor dem Hintergrund neuer politischer Signale, die ein Umdenken in der Regulierungspraxis erwarten lassen. Allerdings drückt nicht allein die Regulierung die Preise, sondern auch ein scharfer Wettbewerb, der es umso leichter hat, da die Zahlungsbereitschaft breiter Gruppen im Privatkundenbereich für die Nutzung hochwertiger Infrastruktur bisher fehlt. Das mag sich mit einer Verknappung der Kapazitäten ändern, jedoch ist das eine mittel- bis langfristige Perspektive. Darauf Wachstumsversprechen im nächsten und übernächsten Jahr zu gründen, erscheint gewagt.Vor diesem Hintergrund mag sich das in USA gebundene Kapital in unmittelbarer Zukunft doch noch besser verzinsen, ein Gelingen des eingeleiteten Turnarounds vorausgesetzt. US-Anleger glauben offenbar daran. Die Börsennotiz der fusionierten T-Mobile USA ging deutlich nach oben, was für den Telekom-Anteil eine Wertaufholung von 1,8 Mrd. Dollar bedeutet, nicht viel nach einer Abschreibung von rund 8 Mrd. Dollar, aber ein Anfang.——–Von Heidi RohdeDie Telekomriesen können ihre freien Mittel besser verwenden als zur Ausschüttung. Das dämmert inzwischen sogar den Investoren.——-