Notiert in Moskau

Morde, Schafe und Sexspielzeug

Dubiose Kreditabsicherungen und Selbstjustiz in russischen Unternehmen erinnern stark an die Zeit vor Putin. Moskau hat die Zeit zurückgedreht.

Morde, Schafe und Sexspielzeug

Notiert in Moskau

Morde, Schafe und Sexspielzeug

Von Eduard Steiner

In gewisser Weise, so meinte dieser Tage ein russischer Politologe, in gewisser Weise sei man mit Wladimir Putin im Kreis gegangen. Der Staatspräsident, der sein Amt zur Jahrtausendwende angetreten hat und sich als Stabilisator nach den von ihm selbst umso mehr diskreditierten 1990er Wendejahren positioniert hat, sei mit seinem Land 24 Jahre und einen Völkerrechtsbruch später nun wieder in den 1990ern gelandet.

Die These ist kühn und stimmt natürlich auf weite Strecken nicht, weil man – wie man aus der Antike weiß – nicht zweimal in denselben Fluss steigen kann. Nicht einmal in Russland. In einigen Phänomenen freilich drängt sich die These sehr wohl auf. Und auch der genannte Politologe hat sie an einem dieser Phänomene aufgehängt. Und zwar an der tödlichen Schießerei in der Moskauer Unternehmenszentrale von Russlands größtem Online-Händler Wildberries, dem russischen Amazon.

Was war passiert? Nach Darstellung Tatjana Bakaltschuks, Chefin des Konzerns und reichste Russin, sind Bewaffnete ihres Mannes Wladislaw unangekündigt im Headquarter aufgetaucht und wollten den Konzern handstreichartig übernehmen. Beim Zusammenstoß mit Wachmännern seien zwei Personen getötet und mehrere verletzt worden. Unter den Angreifern seien auch Kaukasier mit Verbindungen zum tschetschenischen Präsidenten Ramsan Kadyrow gewesen. Wladislaw Bakaltschuk ist inzwischen festgenommen worden. Soweit man weiß, hatte ein Zerwürfnis zwischen den Eheleuten bestanden, weil Tatjana den Konzern ohne Billigung ihres Mannes mit einer Werbeagentur fusioniert hatte und Generaldirektorin geworden war. Er wollte ihn mit dieser Raiderattacke zurückholen.

Gewaltsame Firmenübernahmen waren ein Kennzeichen der 1990er Jahre. Und sie sind gerade in den vergangenen Jahren, da es angesichts von Krieg und Sanktionen viel umzuverteilen gibt, wieder gehäuft vorgekommen. Meist nicht so plump wie bei den Bakaltschuks, sondern unauffällig, aber mit Drohungen, guten Verbindungen zu den Behörden.

Ein anderes interessantes Phänomen spielt sich bei Kreditvergaben ab, wie dieser Tage das russische Wirtschaftsmedium RBC aufzeigte im Hinblick auf die Besicherung mit mobilem Vermögen. In der Mehrheit der Fälle dienen Transportmittel (Autos, aber auch Skibobs oder Boote) hierzu. Bilder, Juweliererzeugnisse, Edelsteine, Markenwaren folgen dahinter, wie aus Daten der Notariatskammer hervorgeht.

Insgesamt stieg die Zahl der Einträge im Notariatsregister gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres um 2,3 Millionen auf 20,3 Millionen. Einen großen Platz nehmen Sexspielzeuge darunter nicht ein. Aber 7.600 Stück finden sich dann doch als „Kreditabsicherung“ – 13% mehr als im Vorjahr und 68% mehr als vor fünf Jahren. Um in etwa denselben Prozentsatz haben übrigens auch die landwirtschaftlichen Nutztiere als im Register eingetragene Kreditbesicherung. Rinder rangieren vor Schweinen und Schafen.

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