Im BlickfeldTelekomausrüster

Nach den fetten Jahren droht das dicke Ende

Unter den Telekomausrüstern werden die Karten neu gemischt. Newcomer setzen vor allem Nokia und Ericsson unter Druck und beflügeln die M&A-Fantasie

Nach den fetten Jahren droht das dicke Ende

Nach den fetten Jahren droht das dicke Ende

Unter den Telekomausrüstern werden die Karten neu gemischt. Newcomer setzen vor allem Nokia und Ericsson unter Druck und beflügeln die M&A-Fantasie

Von Heidi Rohde, Frankfurt

Die Nachricht war ein Paukenschlag, das Dementi für Investoren ernüchternd: Nokia hat den vermeintlich bevorstehenden 10-Mrd.-Dollar schweren Verkauf ihrer Mobile Networks-Division an Samsung postwendend dementiert und so der Aktie schnell wieder den Schub genommen. Experten zweifeln dennoch daran, dass dies das letzte Wort war; denn die oligopolistisch geprägte Branche steuert auf einen tiefgreifenden Umbruch zu – und dies vor dem Hintergrund einer aktuellen Schwächephase im traditionell ertragsstarken aber zyklischen Kerngeschäft mit Mobilfunknetztechnik. Das hat vor allem die Nokia-Aktie gebeutelt, die seit ihrem Hoch bei 5,63 Euro Ende 2022 fast ein Drittel an Wert verloren hat. Offenbar steht daher auch CEO Pekka Lundmark vor dem Aus. Laut „Financial Times“ wird bereits ein Nachfolger gesucht.

Huawei gewinnt Marktanteile

Nach Zuwächsen von 40 bis 50% in den Jahren 2017 bis 2021 ist der sogenannte RAN-Markt, das Radio-Antennen-Equipment, seit 2022 rückläufig, weil viele große Telekomnetzbetreiber, vor allem im lukrativen US-Markt ihren Investitionszyklus zunächst abgeschlossen haben. Marktforscher Dell‘Oro geht bis 2028 von einem durchschnittlichen jährlichen Minus von 2% aus, wobei in letzten vier Quartalen prozentual zweistellige Einbrüche zu beobachten waren. Sowohl Ericsson als auch Nokia beklagen einen „enorm verschärften Wettbewerb“, bei dem sie Dell‘ Oro zufolge im Nachteil sind. Denn der chinesische Branchenprimus Huawei hat trotz geopolitischer Widrigkeiten, die den Konzern in der westlichen Welt ausbremsen, global Marktanteile gewonnen. Dagegen haben die beiden skandinavischen Unternehmen zusammen 3 bis 4 Prozentpunkte verloren.

„Eine Marktkonsolidierung ist ein absolut realistisches Szenario“, beurteilt Marc Renner, TMT-Partner bei der Beratungsgesellschaft Oliver Wyman, die M&A-Perspektiven in der Branche. Neben zyklischen Schwankungen sehen sich die etablierten Anbieter durch den technologischen Wandel mit neuen Wettbewerbern konfrontiert. „Vor allem die asiatischen Unternehmen – nicht nur aus China – sind enorm agil, sehr kosteneffizient und innovationsstark, unter anderem auch weil sie beim Einsatz von KI in ihren internen Prozessen schon weiter sind.“ Im Oligopol der Telekomausrüster, das sich aus früheren Konsolidierungsrunden herausgebildet hat, haben sich diese zugleich als Komplettanbieter für Telekommunikationsinfrastruktur positioniert, eine Strategie, die mit „sehr hohen Entwicklungskosten verbunden ist. Da stellt sich für das einzelne Unternehmen naturgemäß die Frage, ob man überall investieren will, überall vorne sein kann oder ob man sich fokussiert und vielleicht auch Bereiche abtrennt“, so Renner.

Schwierige Aufholjagd

Für Nokia ist die Frage noch drängender als für den schwedischen Rivalen. Den vorherigen Wachstumszyklus bei Mobilfunknetztechnik – insbesondere bei 5G – konnten die Finnen weit weniger ausschöpfen als Ericsson oder auch Huawei. Nokia fehlten über die Jahre schlicht die finanziellen Mittel, um technologisch Schritt zu halten. Auch nach einer Aufholjagd liegt Nokia unter den globalen Top 3 hinter den beiden Konkurrenten. Bei der Auslieferung neuer 5G-Technik ist der Konzern gar nicht Teil der Spitzengruppe.

Das Unternehmen spürte zuletzt zwar in fast allen Bereichen Umsatzdruck, am meisten allerdings bei Mobile Networks, wo im Gesamtjahr nun mit einer operativen Marge von nur 4% bis 7% und bis zu einem Viertel weniger Einnahmen gerechnet wird. Dagegen entwickelt sich die Sparte Telecom Infrastructure mit geringen erwarteten Umsatzeinbußen und einer avisierten Marge von bis zu 14,5% deutlich besser. Diesen Bereich hat Nokia zuletzt auch durch die Akquisition von Infinera gestärkt. Mirko Maier, Analyst bei der Landesbank Baden-Württemberg, kann sich vorstellen, dass eine Konzentration auf dieses Geschäft und die Abtrennung der Mobilfunktechnik vom Unternehmen für zu riskant befunden wurde. In dem Markt, der von US-Konzernen wie Cisco und Juniper dominiert wird, „herrscht ein sehr hohes Innovationstempo, die Aufwendungen für Forschung und Entwicklung sind enorm hoch“.

Zugleich verweist der Experte auf eine Bedrohung im Bereich Mobile Networks, die alle etablierten Anbieter betrifft. Die sogenannte Open RAN-Technik, die über Jahre bei den Telekomnetzbetreibern mehr Wunsch als Wirklichkeit war, gewinnt inzwischen an Bedeutung. Open RAN ermöglicht es, verschiedene Komponenten eines Mobilfunknetzsystems von unterschiedlichen Anbietern zu kombinieren und zu integrieren und hebt damit die feste Kombination von Hardware und Software eines einzelnen Anbieters auf. „Daran haben die Netzbetreiber großes Interesse, denn sie waren bisher mit der Wahl des physischen Antennennetzes zugleich auf einen Anbieter angewiesen. Ein Wechsel war schwierig, die Verhandlungsbasis bei einer Netzaufrüstung entsprechend schwach“, erklärt Renner.

Open RAN wächst stark

Gegenwärtig liegt der Anteil von Open RAN in den Netzen der Telekomgesellschaften noch bei „unter 10%“, schätzt der Manager. Allerdings rechnet Oliver Wyman mit einem Wachstum auf 20% bis 25% in den nächsten Jahren. Manche Schätzungen gehen noch deutlich darüber hinaus. Der zunehmende Anteil von Software in Mobilfunknetzen wie SDN (Software Defined Networking) und NFV (Network Function Virtualization), die im Gefolge von 5G eingesetzt werden, bahnen der neuen Technik den Weg. Das globale Marktvolumen, das 2023 erst auf 1,6 Mrd. Dollar taxiert wurde, soll bis 2036 auf 455 Mrd. Dollar anschwellen.

Von diesem Kuchen wollen sich viele neue Player ein Stück abschneiden. So hat sich Samsung bereits als weltweit führender Anbieter von Open RAN-Technik etabliert, auch Platz zwei und drei haben asiatische Konzerne erklommen. Darüber hinaus werden Unternehmen wie Mavenir, Parallel Wireless oder Meta Switch zu den führenden Newcomern der Szene gezählt. Im Zuge der wachsenden Bedeutung von Cloud-Lösungen und Edge Computing für den 5G-Netzausbau und die nächsten Mobilfunktechnikgenerationen verweist Maier darauf, „dass auch die Hyperscaler AWS, Microsoft Azure und Google Cloud in die Wertschöpfungskette eindringen“. Das ist für die Branche Fluch und Segen. Renner geht davon aus, dass die etablierten Telekomausrüster nicht umher kommen, Partnerschaften mit den Hyperscalern einzugehen. „Allerdings sind solche Allianzen auch angesichts der finanziellen Stärke dieser Partner nicht trivial. Das ist kein Allheilmittel“, betont er.

Hyperscaler mischen mit

Insgesamt dürfte es den etablierten Telekomausrüstern kaum gelingen, für ihre Kunden künftig noch alles selbst zu machen. Entsprechend sind weitere Portfoliobereinigungen, die Ericsson und Nokia beide angestoßen haben, zu erwarten. Zugleich hält ein hoher Innovationsdruck „das M&A-Rad in Schwung“, wie auch der LBBW-Experte betont.

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