Nagelprobe für deutsche Autobauer
Elektroauto-Strategien
Nagelprobe für deutsche Autohersteller
Die Elektromobilität ist in eine Sackgasse geraten. Das zwingt die deutschen Autobauer und die EU zum Umdenken.
Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Die Transformation zur Elektromobilität steckt in Deutschland und in der EU in einer Sackgasse. In der größten Volkswirtschaft der EU und in der Gemeinschaft ist nur jeder Zehnte neu zugelassene Pkw rein batterieelektrisch. In den USA ist es sogar nur jeder Zwanzigste. Lediglich China bildet eine Ausnahme: Dort ist es jeder Vierte. Der große Abstand zum Reich der Mitte ist das Resultat mangelnder Zugkraft und Entschlossenheit der Europäer. Während Peking die Transformation zum schadstofffreien Fahren mit Unsummen fördert, zieht sich Berlin aus der Subventionierung von Stromern vorzeitig zurück.
Die großen Unterschiede in Europa werfen ein Schlaglicht auf den Zustand der Industrie- und Ordnungspolitik in den jeweiligen EU-Mitgliedstaaten. Während Skandinavien und Benelux beim Umbau die Zugpferde sind, spielen reine E-Autos – sogenannte Battery Electric Vehicles (BEVs) – in Süd- und Osteuropa faktisch keine Rolle. Die Nachfrage ist im Alten Kontinent uneinheitlich. Die Konjunkturflaute dämpft das Kaufinteresse. In Deutschland sinkt der Marktanteil von Stromern nach dem Wegfall der Umweltprämien.
Erhöhte Restwertrisiken dämpfen
Das wirkt bremsend auf die Elektro-Strategien der deutschen Autohersteller. 2023 machten BEVs 8% des gesamten weltweiten Pkw-Absatzes der Marke Volkswagen aus. Bei Mercedes-Benz lag die Quote bei nahezu 12%. BMW kam immerhin auf fast 15%. Offensichtlich kommen die Premiumhersteller in Stuttgart und in München besser zurecht als der Volumenhersteller mit Sitz in Wolfsburg. Käufer im Massenmarkt sind preissensibler. Mit Nachlässen versucht VW, die Nachfrage nach Fahrzeugen ihrer ID-Modellreihen anzukurbeln. Die von Tesla angestoßene Rabattschlacht in der Branche führte bisher allerdings nicht zu erhöhten Bestelleingängen. Denn die mit Rabatten verbundenen sinkenden Restwerte für E-Gebrauchtwagen halten Kunden zurück. Aufgrund gestiegener Restwertrisiken bei sinkender Nachfrage verbannte der Autovermieter Sixt Fahrzeuge von Tesla aus seinem Fuhrpark.
Angesichts der Schwierigkeiten setzt bei den deutschen Herstellern ein Umdenken ein. Mancher, der sich allzu forsch den E-Wandel auf die Fahnen schrieb, rudert nun zurück. Die große Euphorie ist verflogen, wie Mercedes-Benz-CEO Ola Källenius einräumte. Die bremsenden Effekte stellen für BMW & Co. eine Nagelprobe für deren Elektrostrategien dar. Dabei fahren die beiden Premiumadressen aus Süddeutschland einen smarteren Kurs als der Konzern aus der niedersächsischen Tiefebene. BMW und Mercedes-Benz verfolgen das Konzept, in den Werken auf gleichen Fertigungsbändern sowohl E-Autos als auch Hybride und herkömmliche Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren zu produzieren. Diese Flexibilität in der Kapazitätsauslastung nennt BMW-Chef Oliver Zipse „Technologieoffenheit“.
Strukturelle Nachteile für VW
Mit dieser Strategie fährt Zipse besser. Denn der Ansatz ist kosteneffizienter und risikoschonender als der Weg der VW-Kernmarke. Während die Münchner ihre bisherigen Verbrenner-Modellreihen sukzessive mit E-Antrieben erweitern, fertigen die Wolfsburger ihre gesonderten ID-Baureihen in separaten Werken. Die Folge ist bei sinkender Nachfrage eine kostspielige Unterauslastung. Das führte an manchen Konzernstandorten zu einem kompletten Produktionsstillstand. Hier spiegeln sich die strukturellen Schwächen von VW wider. Vater Staat in Form des Landes Niedersachsen hat mit seinem Stimmenanteil Gewicht. Das sorgt für Entscheidungen, die nicht immer einer ökonomischen Logik folgen. Für VW-Konzernchef Oliver Blume ist der Umbau daher ein Drahtseilakt.
Die holprige Transformation zeigt, dass die Zeiten von Diesel und Benziner längst noch nicht vorüber sind. Die deutschen Hersteller wachsen vor allem mit Hybriden, also einer Kombination von Verbrenner und E-Antrieb. Die EU, die vor zwei Jahren ein Verbrenner-Aus bis 2035 beschloss, befindet sich dadurch in einem Dilemma. Mit Verboten wird Brüssel seine Ziele verfehlen. In einer für 2026 angesetzten Bestandsaufnahme muss Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen Alternativen präsentieren. Alles andere wäre fahrlässig.