LEITARTIKEL

Neue Unübersichtlichkeit

In sechs Jahren Finanzkrise hat man sich daran gewöhnt, dass Rettungsroutiniers mit Verträgen Schlitten fahren. Warum soll dies beim Aufbau einer europäischen Bankenaufsicht durch die EZB anders sein? Eine übers Knie gebrochene EZB-Bankenaufsicht...

Neue Unübersichtlichkeit

In sechs Jahren Finanzkrise hat man sich daran gewöhnt, dass Rettungsroutiniers mit Verträgen Schlitten fahren. Warum soll dies beim Aufbau einer europäischen Bankenaufsicht durch die EZB anders sein? Eine übers Knie gebrochene EZB-Bankenaufsicht aber hat nicht nur ordnungspolitisch Folgen. Tatsächlich hat die EU-Kommission in vermeintlicher Not eine Struktur konzipiert, die Saboteure der europäischen Idee kaum besser hätten ersinnen können.Um den Anschein aufrechtzuerhalten, Aufsicht und Geldpolitik blieben getrennt, erschafft sie neben dem EZB-Rat einen separaten Aufsichtsausschuss. Die EU-Verträge aber sehen nun einmal vor, dass in der EZB allein der mit der Geldpolitik betraute Rat als oberstes Gremium entscheiden kann. Die Folge: Das 25-köpfige Aufsichtsgremium hat die laufende Kontrolle inne, letztlich aber nichts zu sagen; der EZB-Rat mit seinen 23 Mitgliedern dagegen hat die Verantwortung, aber keinen Einblick in die tägliche Arbeit. Etwaige Differenzen soll dann ein Schlichtungsausschuss mit nochmals 18 Leuten regeln – das Prinzip Verantwortung hat nun einmal der Philosoph Hans Jonas postuliert und nicht die EU-Kommission und die EU-Regierungschefs, die zumindest das Ziel erreichen dürften, sich bei Etablierung der EZB-Bankenaufsicht um eine langwierige Änderung der EU-Verträge zu drücken.In der Regulierung droht ohnehin institutionelle Anarchie. Europa hält es mit Jürgen Habermas und schafft die neue Unübersichtlichkeit. Es sind ja nicht nur EZB-Rat, Aufsichtsgremium und Schlichtungsrunde, die sich künftig um Europas Banken kümmern, wie an dieser Stelle, auch als Service-Leistung, in Erinnerung gerufen sei. Neben der EZB mischen nationale Aufseher mit, die dank makroprudenzieller Mandate ihrerseits über Risikogewichte, Liquiditätsziffern oder Beleihungsausläufe befinden können. Dann gibt es die ebenfalls mit Eingriffsrechten ausgestattete European Banking Authority (EBA), die im Ernstfall etwa mitbestimmen darf, wie das Eigenkapital der Deutschen Bank aussehen soll, es gibt sogenannte Supervisory Colleges diverser nationaler Aufseher für grenzüberschreitend tätige Banken. In der Buchstabensuppe der Institutionen schwimmt nicht zuletzt der Europäische Systemrisikorat (ESRB). Zwecks Notfallplanung haben sich für global systemrelevante Banken ferner Crisis Management Groups zusammengefunden, im Notfall kommen nationale Abwicklungsbehörden dazu. Wer aber steht dafür gerade, dass die Aufsicht funktioniert? Man kann sich schon ausmalen, wie sich die Beteiligten dann die Verantwortung in die Schuhe schieben, wenn zum nächsten Mal eine Bank vor die Wand gefahren ist. Ein Festival der Verantwortungsdiffusion ist zu erwarten, Sternstunden der Hilflosigkeit.Die USA schlossen infolge der Finanzkrise das für Spar- und Darlehenskassen zuständige Office of Thrift Supervision, weil sie erkannten, dass institutioneller Wildwuchs im Boom aufsichtsrechtliche Arbitrage fördert. Institutioneller Darwinismus setzt auch in Zeiten der Reregulierung Fehlanreize, wie die Debatte um Risikogewichte gerade zeigt: Kaum hat sich der Baseler Ausschuss der Bankenaufseher – ja, den gibt es auch noch – zu einem interkontinentalen Vergleich der Eigenkapitalunterlegung von Bilanzrisiken aufgerafft, zettelt die auf Profilierungserfolge angewiesene EBA sogleich eine ähnliche Erhebung an, mit den gleichen Daten, aber freilich mit leicht anderem Analyseansatz. Gerade das Beispiel der EBA hat gezeigt, dass eine neue Aufsichtsbehörde schon mit weitaus übersichtlicheren Strukturen und längerer Anlaufphase kläglich baden gehen kann. Erst dieser Tage schrieb Adair Turner, Chairman der vor dem Ende stehenden britischen Financial Services Authority, den Nachfolgeinstitutionen ins Stammbuch, dass eine Lehre aus dem Libor-Skandal eine klare Zuweisung von Verantwortlichkeiten bei Aufsehern zu sein hat.Der Preis einer übers Knie gebrochenen EZB-Bankenaufsicht ist zu hoch, nur um damit eine Rekapitalisierung spanischer Banken zu erreichen. Und sollte eine die Verantwortlichkeiten klärende Änderung der EU-Verträge Jahre dauern, um so besser. Die Aufseher erhielten damit Zeit, zunächst einmal einen gemeinsamen Aufsichtsansatz zu entwickeln, ihre IT zu vereinheitlichen sowie das Meldewesen zu harmonisieren, sprich: notwendige Vorbereitungen zu treffen. Bundesweit sinkt die Meldeschwelle für Großkredite mit Umsetzung der neuen EU-Eigenkapitalrichtlinie von 1,5 Mill. auf 1 Mill. Euro – in Frankreich liegt sie bei 25 000 Euro. Keine EZB-Bankenaufsicht zu haben, mag ein Mangel sein, doch es gibt Schlimmeres, etwa eine europäische Aufsicht zu haben, die nur so tun kann, als komme sie ihrer Aufgabe nach.——–Von Bernd Neubacher ——- Mit der EZB-Bankenaufsicht hat die EU in vermeintlicher Not eine Struktur konzipiert, die Saboteure der europäischen Idee kaum besser hätten ersinnen können.