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Nichts ist kostenlos – dies gilt auch für den Wertpapierhandel

Bei den Anlegern muss ein Bewusstsein dafür geschaffen werden, dass Payment for Orderflow irgendwo verdient werden muss.

Nichts ist kostenlos – dies gilt auch für den Wertpapierhandel

„There’s No Such Thing as a Free Lunch“ titelte Nobelpreisträger Milton Friedman seine „Essays on Public Policy“. In der Praxis erinnert uns dieses Zitat daran, dass im Wirtschaftsleben äußerst selten Produkte oder Dienstleistungen kostenlos be­reitgestellt werden – manchmal muss man zweimal hinschauen, bevor man sieht, was der genaue Preis ist.

Dieses ökonomische Prinzip scheint man im aktuellen Aktienboom wieder vergessen zu haben. Neobroker bieten Orderausführung zu Kosten von oder nahe null an und tragen mit einfachen, mobilen An­wendungen, die mit wenigen Klicks aus Sparern Trader machen, zum Re­tailboom bei. Steigende Aktionärszahlen, eine verbesserte Aktienkultur sowie aktienbasierte Altersversorgung sind zweifellos durchweg po­sitive Entwicklungen, gerade wenn dies bei jüngeren Generationen erreicht wird. Aber man muss hinterfragen, wie solche Gratisangebote ermöglicht werden und was der Preis ist.

Zentrale Erlöskomponente für neue (aber auch viele etablierte) Broker ist Payment for Orderflow, also Zahlungen von börslichen oder außerbörslichen Marketmakern an Broker für die Weiterleitung der Kun­denorders. Diese Zahlungen er­folgen entweder direkt durch den Marketmaker oder durch den Handelsplatz beziehungsweise die Börse, an der der Marketmaker die Orders ausführt. Dem Kunden wird eine Ausführung zum Preis eines liquiden Referenzmarktes und damit die regulatorisch geforderte Best Execution versprochen. Dabei stehen ihm oftmals nur ein Handelsplatz oder nur sehr wenige Handelsplätze zur Verfügung.

Mit dieser Praxis ist eine Vielzahl ökonomischer Probleme verbunden: Zum einen liegt hier ein offensichtlicher Interessenkonflikt bei den Brokern vor. Zum anderen leisten die Marketmaker-Modelle ge­genüber einem multilateralen Handel keinen echten Beitrag zur Preisbildung, sondern es sind Referenzpreissysteme. Werden viele uninformierte Retailorders außerhalb der Referenzmärkte ausgeführt, erhöht sich dort der Anteil informierter Orders. Diese Adverse Selection erhöht das Risiko auf dem Referenzmarkt, was durch breitere Spreads kompensiert wird.

Auch wenn Best Execution, also mindestens der Preis, den der Anleger auch auf dem Referenzmarkt er­halten hätte, geboten wird, ist dies problematisch: Limitorders bleiben im offenen Orderbuch des Referenzmarktes unausgeführt stehen, auch wenn sie früher als die Order des Marketmakers eingestellt wurden, also Zeitpriorität hätten. Der Marketmaker sichert sich also ein Vorkaufsrecht und die Option, dieses je nach Risikolage zu nutzen. So wird der An­reiz, Orders im offenen und für alle Marktteilnehmer zugänglichen Orderbuch bereitzustellen, reduziert. Dies führt tendenziell ebenso zu breiteren Spreads und einer schlechteren Marktqualität für alle Marktteilnehmer. Breitere Spreads wiederum machen Marketmaker-Modelle attraktiver – ein selbstverstärkender Effekt. Ökonomisch liegt hier der Fall eines Koordinationsversagens vor, da es für alle kollektiv besser wäre, auf einem zentralen Marktplatz zu agieren, aber es individuell rational ist, das Gratisangebot anzunehmen.

Eine mögliche Abmilderung bei liquiden Werten, zum Beispiel im Dax 30, wäre eine Reduzierung der Tick Sizes auf den Referenzmärkten. Dies würde es Anlegern erleichtern, mit eigenen Limitorders den Spread zu verengen, so die Ausführung zu erhalten und das Vorkaufsrecht der Marketmaker auf den Handelsplätzen, die Payment for Orderflow nutzen, weniger attraktiv zu gestalten.

Die Payment-for-Orderflow-Modelle sind aber nicht nur zu den Handelszeiten der Referenzmärkte und für liquide Aktien relevant, sondern werden stark außerhalb der börslichen Handelszeiten und in Auslandswerten genutzt. Über breite Spreads zu diesen Handelszeiten und in diesen Werten werden so die Erlöse für das Payment for Orderflow und damit für die Gratisangebote an die Retailinvestoren generiert.

Ökonomische Bildung

Letztlich geht es – wieder – um das Thema ökonomische Bildung: Die Angebote der Neobroker und deren Finanzierung durch Marketmaker schaffen es, als innovative Angebote mit neuen Features eine junge Kundengruppe zu begeistern. Diese Innovationen sind zu begrüßen, da sie das Verständnis für Finanzmärkte fördern, eine Basis für einen langfristigen individuellen Vermögensaufbau bilden, die Aktienkultur stärken und Unternehmen und Start-ups bei der Finanzierung von Innovationen unterstützen.

Gleichzeitig ist aber ein Bewusstsein bei den Anlegern zu schaffen, dass der Handel eben nicht kostenlos ist (gerade außerhalb der börslichen Handelszeiten) und Payment for Orderflow irgendwo verdient werden muss. Die aktuellen Tendenzen, Wertpapieranlage stark zu vereinfachen bzw. Handel als Freizeitvergnügen (Gamification) darzustellen, können zu schmerzlichen Verlusten führen. Nur die Kombination mit ausreichender Finanzbildung vermeidet ein böses Erwachen in schwierigeren Marktphasen und sichert eine nachhaltig verbesserte Aktienkultur.

Auch weil diese Finanzbildung nicht von heute auf morgen realisierbar ist und die Zusammenhänge entlang der Transaktionskette im Wertpapierhandel komplex sind, haben die Regulatoren auf beiden Seiten des Atlantiks sich das Thema Neobroker und Payment for Orderflow auf die Agenda gesetzt.

In den Vereinigten Staaten genießt das Thema nach den Game­stop-Tur­bu­lenzen hohe politische und mediale Aufmerksamkeit. Die FCA in Großbritannien äußert sich bereits seit langer Zeit sehr kritisch zu Payment for Orderflow. Auch die ESMA hat das Thema jüngst aufgegriffen und als Diskussionspunkt für den anstehenden Mifid II Review gelistet. Diese Diskussion sollte und wird uns also noch länger beschäftigen.

Prof. Dr. Peter Gomber ist Professor für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere E-Finance, am Fachbereich Wirtschaftswissenschaften der Universität Frankfurt.

In dieser Rubrik veröffentlichen wir Kommentare von führenden Vertretern aus der Wirtschafts- und Finanzwelt, aus Politik und Wissenschaft.