Oscars nach chinesischem Geschmack
Neulich bei der Oscar-Verleihung durfte eine auffallend große Anzahl von Preisträgern asiatischer Herkunft die begehrte Statuette hochhalten und stürmischen Beifall ernten. Hollywood feiert so etwas wie asiatische Wochen. Da bei asiatischen Angelegenheiten die China-Komponente besonders hoch zu sein pflegt, darf man sich die Frage stellen, was für das Reich der Mitte bei den Oscars heraussprang.
Der Hauptsieger des Abends, die ziemlich schräge Science-Fiction-Actionkomödie „Everything Everywhere All at Once“ strotzt nur so von chinesischen Elementen. Die Geschichte dreht sich um eine chinesische Einwanderin in Amerika, die als tapfere Waschsalonbesitzerin mit einer Reihe von Alternatividentitäten in Parallelwelten konfrontiert wird und dabei als Kung-Fu-Actionheldin wie auch überfürsorgliche Mutter neue Kräfte entdeckt. Sie hat massiven Ärger mit der US-Steuerbehörde und ihrem scheidungswilligen Ehemann, das Leben ihrer Tochter ist bedroht, sie muss ein chinesisches Neujahrsfestessen für Dutzende Gäste organisieren und den hohen Ansprüchen ihres gerade aus China angereisten Vaters genügen. Viel Holz also. Chinesen können allein schon bei letzteren beiden Aspekten verstehen, welcher übermenschlichen Kräfte es bedarf, solche Bewährungsproben zu meistern.
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Mit Michelle Yeoh, die als überhaupt erste Schauspielerin asiatischer Abstammung einen Oscar für die beste weibliche Hauptrolle gewonnen hat, kann man in China gut leben. Aus chinesischer Familienabstammung, aber in Malaysia geboren und aufgewachsen, hat sich Yeoh vor ihrem Durchbruch in Hollywood in der Hongkonger Filmszene mit Kung-Fu-Streifen und Komödien einen Namen gemacht. Sie spricht Mandarin mehr schlecht als recht, verkörpert aber Werte von A wie Anmut bis Z wie Zähigkeit, mit denen so ziemlich jeder Chinese etwas anzufangen weiß. Damit kann sie weder eine Botschafterin noch eine Verräterin der chinesischen Kultur sein, was den großen Vorteil hat, dass die leicht erregbare chinesische Öffentlichkeit völlig entspannt mit Schwester Yeoh umgeht.
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Chinas Parteimedien haben zum ersten Mal seit Jahren wieder einen Oscar-Abend positiv kommentiert. Das war früher anders. Bei der Oscar-Verleihung 2020 gewann die koreanische Produktion „Parasite“ die Preise für den besten Film, die beste Regie und das beste Drehbuch. Aus Pekinger Sicht gab es nichts zu feiern. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Regierung wegen politischer Spannungen mit Südkorea bereits damit begonnen, „Kulturimporte“ aus Korea abzuknipsen. Dem heimischen Publikum versuchte man die Begeisterung für K-Pop, koreanische Soap Operas, Reality-TV-Shows und Kinofilme mit Zensurgewalt und Werbeverboten auszutreiben.
Ein Jahr später gewann die in Peking geborene und aufgewachsene, aber in den USA tätige Filmemacherin Chloé Zhao mit dem Roadmovie „Nomadland“ als erst zweite weibliche Regisseurin in der Oscar-Geschichte den großen Preis. Damit war man in Chinas Kulturwächterkreisen völlig überfordert. Das sozialkritische Drama hat das Ende von Amerikas Aufstiegsversprechen zum Thema. Einerseits ein gefundenes Fressen für den Propagandaapparat, um die Überlegenheit des „chinesischen Traums“ gegenüber dem amerikanischen Vorbild zu feiern. Andererseits aber die Frage, wieso eine Chinesin einen Film mit uramerikanischen Motiven und nullkommanull chinesischem Inhalt dreht – total verdächtig!
Nach Zhaos Oscar-Nominierung herrschte gespannte Verwirrung. Ist es erlaubt, einen Durchbruch für Chinas Kinokünste zu feiern? Dann fand sich im Netz eine Äußerung von Zhao aus einem alten Interview. Sie sprach über ihre Teenagerzeit in China als einem Ort, „an dem es überall Lügen gibt“. Der Fall Zhao war gelöst. Über ihren Oscar-Gewinn wurde in China nie ein Wort berichtet, alle Beiträge in sozialen Medien sind streng zensiert. Wer nach „Nomadland“ sucht, landet im Niemandsland.