Notiert in Brüssel

Vivaldi, die zweite

Belgien hat gewählt. Elf Parteien haben Chancen, die Regierung zu bilden. Sieben sind es derzeit – die sogenannte Vivaldi-Koalition. Das könnte auch die zukünftige Regierung sein.

Vivaldi, die zweite

Notiert in Brüssel

Vivaldi, die zweite

Von Detlef Fechtner

Ein preisgekrönter belgischer Kurzfilm beginnt mit dem Tod eines Motorradfahrers, der zu schnell in die Kurve geht. Mit Helm unter dem Arm marschiert er anschließend auf eine Weggabelung zu. Links geht es Richtung Himmel, rechts Richtung Hölle. Zumindest für Flamen. Denn – wie in Belgien üblich – geben je zwei Schilder die Richtung an, eines auf Niederländisch, eines auf Französisch. Der Kalauer: Dort wo es für Flamen in den „hemel“ geht, geht es für Wallonen in die „enfer“. Und dort, wo den Flamen die „hel“ droht, wartet auf die Wallonen der „ciel“.

Nationales Parlament gewählt

An diese Szene erinnert fühlen konnte man sich am Sonntagabend, als die Belgier parallel zum EU-Parlament ihr nationales Parlament wählten. Gegensätzlicher hätten die Wahltrends in den beiden Landesteilen kaum sein können. Während die frankophonen Liberalen, das Mouvement Réformateur, spürbar zulegten, erlitten die niederländischsprachigen Liberalen von Open VLD, der Partei von Premier Alexander de Croo, herbe Verluste. Spiegelbildlich verloren die Sozialdemokraten im Süden, die Parti Socialiste, klar an Zustimmung, während Vooruit (Vorwärts), also die Sozialdemokraten in Flandern, merkliche Stimmengewinne verzeichneten.

Die Christdemokraten schließlich gewannen in der Wallonie (Les Engagés) und büßten zwischen Brügge, Antwerpen und Maasmechelen (Christen-democratisch en Vlaams) kräftig ein. Nur bei den Grünen verlief der Trend in die gleiche Richtung: Sowohl für Groen als auch für Ecolo ging es heftig abwärts.

Und nun? Gibt es mehrere Optionen – schließlich haben elf Parteien die Chance, an der nächsten Regierung beteiligt zu sein. Aktuell sind es sieben. Erstens könnten die beiden größten Parteien des Landes theoretisch den Nukleus einer neuen Regierung bilden, nämlich die rechtskonservativen, europaskeptischen Regionalisten der Nieuw Vlaamse Alliantie unter Antwerpens Bürgermeister Bart de Wever mit 16,9% und die rechtsextremen, fremdenfeindlichen Europagegner vom Vlaams Belang mit 14,0%.

Fraglich ist jedoch, ob sich die beiden Kontrahenten auf ein Bündnis verständigen könnten. Und, falls ja, ob sich zwei andere Parteien finden würden, die dieser Rechts-außen-Koalition zur Mehrheit verhelfen würden. Wohl eher nicht.

Weniger radikal als früher

Eine zweite Option wäre, dass de Wever, der von König Philippe als Informateur mit der Sondierung möglicher Regierungsformationen berufen wurde, versucht, sich mit den Stimmen von Liberalen, Christ- und Sozialdemokraten zum Premier wählen zu lassen. De Wever tritt heute weniger radikal auf als in früheren Jahren.

Die dritte Möglichkeit ist, dass Belgien wie in den vergangenen Jahren auch künftig von einer Sieben-Parteien-Koalition regiert wird: Sozialdemokraten, Liberale, Grüne jeweils aus beiden Landesteilen sowie flämische Christdemokraten. In die politische Farbenlehre übersetzt ist das ein orange-grün-blau-rotes Bündnis. Oder wie es in Belgien getauft wurde: die Vivaldi-Koalition, weil ihre Farben an die „Vier Jahreszeiten“ erinnerten.

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