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Peking zeigt Nerven

Chinas überraschende Zinssenkung ist vor allem jüngsten Marktunruhen geschuldet. Das wirkt wenig souverän.

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Von Norbert Hellmann

Chinas unerwartete Zinssenkung soll Marktunruhen übertünchen. Das wirkt nicht souverän.

Eine fast schon unheimlich anmutende Serie von enttäuschenden Konjunkturdaten aus China setzt sich fort. Im Juli haben sich Industrieproduktion und Anlageinvestitionen schleppender entwickelt als erwartet. Das Wachstum der Einzelhandelsumsätze befindet sich mit zuletzt 2,5% für chinesische Verhältnisse im absoluten Kriechgang. Die Pekinger Storyline vom nachhaltigen konsumgeleiteten Aufschwung nach dem Ausstieg aus der Null-Covid-Politik erweist sich als Mär.

Chinas Zentralbank ist am Dienstag kurz vor Veröffentlichung der neuen konjunkturellen Hiobsbotschaften mit einer Zinssenkung in die Offensive gegangen, die bei den China-Ökonomen praktisch niemand auf dem Zettel hatte. Schließlich haben Parteiführung und Zentralbank ziemlich deutlich zu verstehen gegeben, dass man auf breite monetäre Anschubhilfen verzichtet. Abgesehen davon ist es der Regierung ein Gräuel, in einer Zeit, da der Yuan immer mehr Boden gegenüber dem Dollar verliert, einer weiteren Schwächung der Währung Vorschub zu leisten. Auch das einigermaßen erschreckende Abrutschen der chinesischen Verbraucherpreise ins Deflationsterritorium wurde als harmloser Ausreißer weggelächelt, auf den erst recht nicht mit geldpolitischer Hektik geantwortet werden muss.

Chinas Politbüro behalf sich zunächst mit verbalen Offensiven zur Stabilisierung des Immobilienmarktes und Anregung des Konsums. Daraus erwuchs im Juli eine kleine, feine Aktienmarktrally, bei der auch Immobilienwerte wieder Aufwind bekamen. Vom erhofften Durchbruch beim Anlegersentiment kann aber nicht die Rede sein.

Drohende Zahlungsausfälle beim Immobilienriesen Country Garden und miserable Verkaufszahlen im Wohnungsmarkt konterkarieren den offiziellen Optimismus zur Erholung im Sektor. Anzeichen für eine Schieflage bei einer großen Schattenbank und Ausfälle auf immobilienbezogene Investmentprodukte sorgen für zusätzliche Nervosität. Das dürfte den Ausschlag für eine rasche Zinssenkungsgeste gegeben haben, die nun eher den Charakter einer Notfallmaßnahme wegen Finanzmarktunruhen als eines wohlüberlegten Konjunkturlenkungsschritts annimmt.

Ob dies der Sache dienlich ist, mag bezweifelt werden. Während die Marktteilnehmer nach der Verlautbarung des Politbüros zu besonnener Konjunkturunterstützung zunächst Vertrauen schöpften, sieht es jetzt eher danach aus, dass Peking Nerven zeigt und nach Trostpflastern greift. Erste Marktreaktionen vom Dienstag zeigen, dass das Manöver durchschaut wird und die Konjunkturängste eher zunehmen, weil Chinas Wirtschaftslenker wenig souverän wirken.  

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