Letzter Weckruf für die demokratische Mitte
Die Bürger haben gewählt, aber die Mitte ist stark geschrumpft: Die Union hat zwar mit Abstand die meisten Stimmen erhalten, allerdings deutlich weniger als erhofft. Die Liberalen haben es nicht in den Bundestag geschafft, die SPD ist geradezu abgestürzt, die Grünen sind ordentlich gerupft. Immerhin ist es den Unionsparteien durch Nichteinzug der beiden Kleinparteien FDP und BSW möglich, eine Zweierkoalition zu bilden und müssen keine Dreier-Koalition unter einen Hut bringen. Das erleichtert die Kursfindung, begrenzt die Zahl an dabei nötigen „faulen Kompromissen“ und erleichtert das Regieren ungemein.
Will man die Populisten auch künftig von der Macht fernhalten, muss die neue Regierung gleich von Anfang an einen klaren Kurs fahren für mehr Wachstum, für mehr Investitionen im Land und als europäische Führungsmacht für mehr innenpolitische und außenpolitische Sicherheit sorgen. Das erfordert auch enorme finanzielle Anstrengungen, wie es in Ansätzen allenfalls bei der deutschen Einheit der Fall gewesen ist.
Die Hütte brennt
Dabei geht es darum, Deutschland als Wirtschaftsstandort flottzumachen, die Bundeswehr als ernst zunehmenden Abschreckungsfaktor wieder ins Spiel zu bringen und die Demokratie innenpolitisch (AfD) und außenpolitisch (Trump) zu retten. Schon im Land selbst ist die Unzufriedenheit der Bürger enorm. Viele sind wegen der ungelösten Probleme (Wirtschaft, Preise, Migration) zum AfD-Lager übergewechselt. Es würden noch mehr werden, wenn ihnen von den demokratischen „Altparteien“, die jetzt das Ruder übernehmen, nicht schnell genug eine Perspektive vermittelt wird.
Auch außenpolitisch brennt die Hütte in Europa wegen der autokratischen und hegemonial geprägten Politik von US-Präsident Donald Trump, der die politische – und damit auch wirtschaftliche – Ordnung in Europa und der Welt offenbar zerstören will. Und wegen der militärischen Bedrohung, die von Russlands Autokraten Wladimir Putin ausgeht. Ohne einen echten Politikwechsel, also eine völlige Abkehr vom bisherigen Kleinklein ist das nicht zu schaffen. Die nächste Koalition muss sich also schnellstens zusammenraufen und mit einem in sich stimmigen, sichtbar erfolgversprechenden Plan aufwarten.
Die jüngsten Äußerungen von SPD und Grüne lassen hoffen, dass sie ihre Rolle für einen Politikwechsel akzeptieren – ob innerhalb einer Koalition oder außerhalb als konstruktive Opposition. Die SPD müsste sich hierzu programmatisch häuten, von liebgewonnenen Positionen trennen und auch personell neu aufstellen. Erste hoffnungsvolle Stimmen aus ihren Reihen scheinen darauf hinzudeuten, dass sie den Ernst der Lage erkannt haben. Auch Grünen-Kanzlerkandidat Robert Habeck zeigt sich diesbezüglich als verantwortungsvoller Demokrat.
Win-Win-Situation
SPD und Grüne dürften sich auch im Klaren sein, dass sie gerade mit ihrem bisherigen Kurs viele Wähler verloren haben, wie Nachwahlbefragungen zeigen: Aus der SPD sind dramatisch viele junge Menschen, Arbeiter und Rentner geflüchtet. Dabei hatte sie gerade letztere mit höheren Renten und stabilen Rentenniveaus gehätschelt. Sie liegen mit ihrem Ansatz also offenbar falsch! Auch die Grünen haben einen enormen Schwund an jungen Wähler zu verkraften. Diese sind geradewegs zu AfD und Linkspartei gewechselt. Das sollte auch ihnen zu denken geben.
Bundeskanzler Friedrich Merz muss nun einen politisch-gesellschaftlichen Aufbruch hinbekommen, um Populisten und Extremisten von einer künftigen Regierungsbeteiligung fernzuhalten. Ein „Ruck“ muss durch die Gesellschaft gehen. Denn der nötige Politikwechsel geht nicht ohne Verzicht einzelner Gruppen und mancher Schichten. Das wird von der Gesellschaft aber nur akzeptiert, wenn die neue Regierung ein klares Ziel kommuniziert, dem sie alles andere unterordnet. Das muss den Bürgern eine erkennbar positive Perspektive und bessere Zukunft versprechen. Vielleicht ist Merz, dem immer wieder seine Unerfahrenheit im Regieren vorgeworfen wird, hierfür gerade der Richtige, weil er einen unverstellten, eher unternehmerischen Blick auf die Lage hat.