Politikwechsel ausgebremst
Die Bürger haben gewählt, scheinen einem echten „Politikwechsel“ aber skeptisch gegenüber zu stehen: Die Union hat zwar mit Abstand die meisten Stimmen erhalten, aber deutlich weniger als erhofft. Der Regierungsauftrag ist damit erteilt, aber eine Regierung lässt sich offenbar nur mit SPD und Grünen zusammen bilden.
Drei Parteien unter einen Hut zu bringen ist schwierig. Angesichts der großen inhaltlichen Differenzen und Grundhaltungen sind die innewohnenden zentrifugalen Tendenzen stark. Das spricht nicht für stabile Verhältnisse, wie man mit der Ampelkoalition erleben musste. Die Gefahr eines erneuten Scheiterns ist groß. Und damit wächst auch das Risiko, dass man dann bei nächster Gelegenheit nicht an der zweitstärksten Fraktion, der AfD, vorbeikommen wird. Die Endphase in der Weimar Republik sollte vor diesem Hintergrund zu denken geben – und die neuen Koalitionspartner disziplinieren.
Will man die Populisten von der Macht fernhalten, braucht die neue Regierung eigentlich einen klaren Kurs für mehr Wachstum, einen runderneuerten Investitionsstandort und außenpolitische sowie militärische Sicherheit. Das fordern ausweislich der jüngsten Umfragen auch die Bürger vehement. Viele sind wegen der ungelösten Probleme schon zum AfD-Lager übergewechselt. Ohne einen echten Politikwechsel sind sie daher nicht zu zurückzuholen. Faule Kompromisse sind damit ebenfalls ausgeschlossen. In von vornherein eher instabilen Koalitionen dienen sie ansonsten gern als Kitt. Die drei Parteien müssen sich also zusammenraufen und mit einem in sich stimmigen, sichtbar erfolgversprechenden Plan aufwarten.
Großer Abstand zu SPD und Grünen
Dass die Unionsparteien mit dem Wählervotum einen großen Abstand zu SPD und Grünen haben, hilft ihnen zwar etwas bei der Durchsetzung ihrer Position. Man darf die Widerstandskraft der geschwächten kleineren Parteien aber nicht unterschätzen. Denn auch sie wollen natürlich ein Teil ihrer Programmatik unterbringen, um ein Lebenszeichen an ihre Wähler zu senden und nicht nur als Mehrheitslieferant wahrgenommen werden.
Die jüngsten Äußerungen von SPD und Grüne lassen diesbezüglich durchaus hoffen. Grünen-Kanzlerkandidat Robert Habeck verweist auf die dramatische außen- und sicherheitspolitische Situation sowie die anstehenden längst überfälligen Infrastrukturaufgaben. Einigkeit dürfte auch bei den Anreizen für Investitionen bestehen. Die SPD müsste sich hierzu allerdings programmatisch häuten, von liebgewonnenen Positionen trennen und auch personell neu aufstellen, und sich auf die Union zu bewegen. Die ersten hoffnungsvollen Stimmen aus den Reihen der SPD waren diesbezüglich am Wahlabend schon zu hören.
Win-Win-Situation
Dass beide Parteien bei einem solchen Kurs auch frühere Wähler zurückgewinnen könnten, zeigen die Nachwahlbefragungen: Die SPD hat dramatisch bei den Arbeitern und Rentnern verloren. Dabei hatte sie gerade letztere mit höheren Renten und stabilen Rentenniveaus geradezu gehätschelt. Sie liegen mit ihrem Ansatz also offenbar falsch! Auch die jungen Wähler sind aus der SPD geflüchtet, wohl weil Beitragszahler dafür über Gebühr zur Kasse gebeten worden wären. Auch die Grünen haben viele junge Wähler verlassen und sind geradewegs zu AfD und Linkspartei gewechselt. Das sollte den Parteioberen auch hier zu denken geben.
Die demokratischen Parteien der Mitte in Deutschland stehen auch insgesamt enorm unter Druck, Populisten und Extremisten von einer Regierungsbeteiligung fernzuhalten. Die Deutschen zeigen sich hochgradig verunsichert, verlangen geradezu ultimativ die Lösung der anstehenden großen Probleme im Land und fordern dafür einen klaren Kurs. Die Stichworte lauten: Wachstum, Energiepreise, Infrastruktur, Bundeswehr und EU. Das wird ohne echten Politikwechsel und neues Personal nicht gehen. Die bisherigen Regierungsakteure hatten es versucht, und sind gescheitert. Das werden die alten Ampelparteien SPD und Grüne einsehen und auf einen Win-Win-Kurs mit CDU/CSU einschwenken müssen, um das Mitte-Lager insgesamt wieder zu stärken. Zuletzt hatten sie eher damit geglänzt, sich gegenseitig zu zerstören – was der AfD gerade recht war.