QE ad infinitum
Es ist schon frappierend, wie stark die Reaktionen der US-Notenbank und der Europäischen Zentralbank (EZB) auf den jüngsten Anstieg der Anleiherenditen kontrastieren. Während sich die Fed bis dato recht entspannt zeigt, mutet das Gebaren der EZB teils fast schon verzweifelt an. Nun ist die Entwicklung für Euroland sicher gefährlicher. Trotzdem würde man der EZB ein wenig mehr der Fed’schen Gelassenheit wünschen. In jedem Fall müssen Fed wie EZB höllisch aufpassen, nicht komplett falsche Signale zu senden – auch in Sachen Exit aus den gigantischen Anleihekäufen (Quantitative Easing, QE). Ein QE ad infinitum darf es nicht geben.
Was die Fed betrifft, hat Notenbankchef Jerome Powell zwar jetzt erklärt, der Renditeanstieg habe „meine Aufmerksamkeit erregt“. Das war aber weit entfernt von der von vielen erwarteten oder erhofften starken Verbalintervention. Tatsächlich kann die US-Wirtschaft einen gewissen Renditeanstieg nicht nur verkraften; ein solcher erscheint vielmehr zwingend: Mit dem überdimensionierten 1,9-Bill.-Dollar-Konjunkturpaket von Präsident Joe Biden steuert die Wirtschaft auf einen „Biden-Boom“ zu. Selbst ein Wachstum von 6% oder 7% scheint 2021 möglich. Die Inflation könnte so sogar die 3-Prozent-Marke erreichen oder toppen. Renditen auf Rekordtief passen da schlicht nicht mehr ins Bild. Die Fed sollte perspektivisch zudem genau überlegen, wie „heiß“ sie die Wirtschaft laufen lässt. „Wer mit der Inflation flirtet, der wird von ihr geheiratet“, hat Ex-Bundesbankpräsident Otmar Emminger einst gewarnt.
Die Euro-Wirtschaft hinkt dem US-Pendant nun zweifellos deutlich hinterher – was auch mit dem unsäglichen Versagen der Politik bei Corona-Impfungen und -Tests zu tun hat. Die Sorge vieler Euro-Hüter, dass höhere Kreditkosten für die fragile Konjunkturerholung zur Unzeit kommen, ist also verständlich. Der Anstieg der BIP-gewichteten Rendite für den Euroraum von rund 30 Basispunkten, zumal ausgehend von historischen Tiefständen, ist aber sicher kein Grund für Alarmismus. Mehr noch: Entscheidend ist die Gesamtschau der Finanzierungsbedingungen für Firmen, Haushalte, Staaten – und da ist der Anstieg weniger stark, und die Bedingungen sind immer noch historisch günstig. Das gilt speziell in realer Betrachtung, also abzüglich der Inflation. Übertriebener Aktionismus ist also fehl am Platz.
Die EZB-Granden fürchten nun vor allem, dass die Euro-Renditen primär vom Ausverkauf bei US-Treasuries angetrieben werden – und es zu einer „unerwünschten Straffung“ kommt, die nicht konsistent mit dem Wachstums- und Inflationsausblick im Euroraum ist. Aber der Anstieg der Euro-Renditen spiegelt mindestens in Teilen auch das – trotz aller Probleme – verbesserte Konjunkturumfeld und den unerwartet starken Anstieg der Inflation im Euroraum wider. Zudem haben mehr Wachstum und ein stärkerer Inflationsdruck in der US-Wirtschaft nun mal Implikationen für die globalen wirtschaftlichen Bedingungen. Es ist also illusorisch zu glauben, die Euro-Renditen ließen sich komplett von den US-Zinsen abkoppeln. Und auch für den Euroraum gilt: Ein moderater Renditeanstieg ist eine logische und wünschenswerte Rückkehr zu mehr (Zins-)Normalität.
Die EZB kann und sollte jetzt notfalls einen weiteren ungebremsten und abrupten Anstieg der Renditen verhindern, indem sie beim 1,85-Bill.-Euro-Corona-Notfallanleihekaufprogramm PEPP das tägliche Kaufvolumen erhöht. In der Tat ist das auch eine Frage der Glaubwürdigkeit. Bereits jetzt über eine neuerliche Aufstockung von PEPP zu schwadronieren, ist aber unangebracht. Die EZB sollte auch tunlichst die Hände von einer formalen Zinskurvenkontrolle (Yield Curve Control, YCC) à la Bank of Japan lassen. Im Euroraum mit nicht der einen, sondern unzähligen Euro-Zinskurven wäre das nicht nur technisch heikel; es wäre auch politisch äußerst bedenklich. Zudem sollte die marktwirtschaftliche Ordnung nicht weiter ad absurdum geführt und das Funktionieren der Märkte nicht vollends gefährdet werden. Die Einschätzung der Marktakteure ist auch für die Zentralbanken ein elementarer Teil ihrer Informationsbeschaffung und sollte nicht geldpolitisch völlig sediert werden. Deshalb tut auch die Fed gut daran, nicht in das YCC-Großexperiment einzusteigen.
Es kann gut sein, dass die Märkte in Euroland bereits übers Ziel hinausgeschossen sind und der Renditeanstieg übertrieben ist. Dann wird sich das mit schwächeren Konjunkturdaten auch wieder korrigieren. Die Zentralbanken dürfen die Märkte aber nicht in der Illusion wiegen, dass die Zinsen niemals steigen können – oder dürfen. Sonst wird jedes Gerede vom künftigen Exit aus der ultraexpansiven Geldpolitik zur Farce. (Börsen-Zeitung, 9.3.2021)