Notiert inSchanghai

Queen Wen und die perfekte Kugelgröße

Die Tennisspielerin Zheng Qinwen ist in die Weltelite aufgestiegen. Das hilft der Nation einige Qualen in anderen Ballsportarten zu überwinden.

Queen Wen und die perfekte Kugelgröße

Notiert in Schanghai

Queen Wen und die perfekte Kugelgröße

Von Norbert Hellmann

Die rüstige alte Dame von nebenan hat eine atemlose Erklärung dafür, warum sie heute ein wenig unausgeschlafen und verspannt wirkt. „Ich musste doch wachbleiben um „Queen Wen“ zu unterstützen, sagt sie mit Genugtuung. Gemeint ist ihr nächtlicher Einsatz vor dem Fernseh-Bildschirm, um bei einer Partie der Tennisspielerin Zheng Qinwen die Daumen zu drücken.

Neuer Star

Die 22jährige schreibt mit einem kometenhaften Aufstieg in diesem Jahr so etwas wie chinesische Tennisgeschichte. Bei den Olympischen Spielen in Paris errang sie entgegen aller Erwartungen die Goldmedaille. Beim krönenden Saisonabschluss der Womens Tennis Association WTA verlor sie nur knapp im Finale und beendet das Jahr auf Platz 5 der Weltrangliste.

Dass eine Sportübertragung Disruption in den sorgsam gehüteten Schlafrhythmus einer archetypischen Schanghaier Frühaufsteher-Seniorin zu bringen vermag, ist für sich genommen bemerkenswert. Sportfankultur gibt es in dieser Generation eigentlich nicht. Bei der Frage ob sie oder ihr Mann auch bei den Partien der chinesischen Fußballnationalmannschaft mit fiebert, schnaubt sie nur verächtlich.

Fußball-Elend

Die Qualifikationsspiele in der Asien-Runde für die kommende WM laufen zwar zu vernünftigen Zeiten im Fernsehen, aber das Verdikt lautet: „Für dieses Elend haben wir keine Zeit.“ China kassierte im September ausgerechnet gegen Japan eine 7:0 Niederlage kommt auch bei bei schwächeren Gruppengegnern wie Bahrain und Indonesien kaum auf einen grünen Zweig.

Balsam für die Sportseele

Gut also, dass es Queen Wen gibt, sie hat der nationalen Sportpsyche in diesem Jahr einen großen Dienst erwiesen. Die Analyse von Erfolgen und Misserfolgen bei Ballsportarten bringt folgende Bilanz: Nicht nur im Fußball, sondern auch bei Basketball und Volleyball, zwei in China besonders populäre Sportarten bei denen man vorne mit dabei war, läuft es grottenschlecht.

Beim Tischtennis hingegen räumte China erstmals bei Olympia sämtliche Goldmedaillen ab. Die Damen-Hockeymannschaft brachte es sensationell zu  Bronze. Zheng holte Gold im Tennis, im gemischten Doppel kam das Duo Wang Xinyu und Zhang Zhizhen völlig überraschend zu Silber. Jenseits der Olympiade steigen Chinesen bei Golf und Snooker-Billiard zur Weltelite auf.

Kleiner ist besser

Damit gelangt man zu einer frappierend simplen Erkenntnis. Je kleiner die Kugel, desto besser. Es erweist sich immer mehr, dass China in Sportdisziplinen mit großen Bällen international nicht mithalten kann. Dummerweise ausgerechnet jene, für die sich die Weltgemeinde besonders zu begeistern weiß. Genau das macht Zheng Qinwen zum besonderen Glücksfall und Idol schlechthin.

Vorne auf der Vogue

Die Filzkugel, die sie beherrschen muss, ist klein genug um in die chinesische Erfolgsmatrix hineinzupassen. Der Tennissport aber ist groß und glamourös genug, um auch internationales Prestige zu sammeln. Und siehe da, Queen Wen hat es jetzt als erster Sportler überhaupt auf das Titelblatt der China-Ausgabe des Modemagazins Vogue gebracht.  

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