Rätselhaftes Reisbier
Erst Sushi, dann Ramen-Suppen, nun Sake – das ausländische Interesse an der japanischen Esskultur wächst ungebrochen, auch in Deutschland. Doch die japanische Geschmackswelt unterscheidet sich erheblich vom Konzept westlicher Kochtraditionen wie der französischen Haute Cuisine. Der Gaumeneindruck von Sushi zum Beispiel hängt zu 60% von der essigsauren Reiszubereitung ab, dozierte neulich der Meister im Sushi-Restaurant meiner Wahl, als ich ihm von der Theke aus beim Kneten der Bällchen zusehen durfte.
Ähnlich schwer fassbar ist die Sake-Welt. Selbst Ausländer, die schon lange in Japan wohnen, können oft keine einfachen Einkaufstipps für Neulinge geben. Bei Wein lässt sich der Geschmack an der Traubensorte, dem Standort, dem Jahrgang und anderen Informationen auf dem Etikett relativ einfach einordnen. Doch dieses Vorgehen funktioniert bei Sake nicht, was die Auswahl erheblich kompliziert. Dazu kommt: Seit über 50 Jahren hat der japanische Staat keine neue Herstellerlizenz mehr vergeben, wodurch eine geschlossene Welt entstanden ist, die sich gar nicht mehr nach außen erklären will. Als ein Taiwanese jetzt als erster Ausländer in Japan allein Sake herstellen wollte, schrieb man ihm vor, sämtliche Ware zu exportieren.
Der Hauptgrund für die Komplexität: Sake kann zwar mit bis zu 16% so viel Alkohol wie ein starker Rotwein enthalten, aber dieser „Reiswein“ wird gebraut wie Bier. Beim Wein stammt der Zucker für die alkoholische Gärung aus den Trauben; bei Sake wird zuerst die Stärke im Reiskorn zu Zucker aufgeschlossen. Den Zucker verwandeln mehrzellige Koji-Schimmelpilze in Alkohol, während man für Bier einzellige Hefepilze verwendet. Bei Sake handelt es sich also genau genommen um Reisbier.
Das eigentlich Besondere: Mehr als Wein und Bier verstärkt Sake den fünften Geschmack Umami. Daher passt Sake perfekt zu japanischen Speisen, die tendenziell die Umami-Note stärker herausarbeiten. In der zuckrigen Mirin-Variante kommt Sake direkt in die Basisbrühe für viele japanische Gerichte, wird also viel häufiger beim Kochen verwendet als Wein in der französischen Küche.
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Trotz dieser großen Unterschiede meinen Gourmets, dass sich Sake gut mit westlichem Essen kombinieren lasse. Diese Meinung vertritt zum Beispiel der Schweizer Charly Iten, der einzige Master-Sake-Sommelier der Alpenrepublik. Selbst zu Gerichten wie Raclette, Schweinefilet im Blätterteig und Apfeltorte finde sich ein passender Sake, erzählte mir Iten. Wie bei Wein gebe es süße und fruchtige, trockene und vollmundige Varianten. Von ihm habe ich auch gelernt, worauf ich beim Sake-Einkauf im Supermarkt achten soll: Je mehr der Reis poliert sei, desto aromatischer, komplexer und raffinierter schmecke der Sake, meint Iten.
Diese sogenannte Polierrate steht auf jedem Etikett. 50% bedeuten etwa, dass die Brauerei nur die Hälfte des Reiskorns verwendet hat. Woraus wiederum ein Laie wie ich leicht ableiten kann, dass der Preis umso höher ist, je mehr Reis beim Polieren weggeworfen wird – im Zweifel also die teurere Flasche kaufen.
Noch ein Tipp vom Schweizer Sommelier: Grundsätzlich könne man Sake heiß trinken, was die Japaner im Winter auch häufig tun. Aber hochwertigen Reiswein sollte man nicht erhitzen, weil sich dabei die delikaten flüchtigen Duftstoffe auflösen. Daher verwenden japanische Restaurants beim heiß servierten „Reiswein“ preisgünstigen Tischsake, der rund 70% der nationalen Produktion ausmacht. Für den westlichen Anfänger empfiehlt der Schweizer einen Premium-Sake von einem der sechs Haupttypen honjōz, ginj, daiginj, junmai, junmai ginj oder junmai daiginj.
Entschuldigung, diese Sorten heißen wirklich so unverständlich. Womit wir bei Benjamin Knopp und Philipp Maas wären. Die beiden deutschen Expats in Japan entdeckten ihre gemeinsame Liebe zum Sake und stellten darauf den Webshop Kurashu.jp mit ausgewählten Sorten auf die Beine. Ihre Lösung für die unübersichtliche Vielfalt: Ein Käufer beantwortet im Shop neun Fragen nach individuellen Geschmacksvorlieben. Ein Algorithmus schlägt dann den dazu passenden Sake im Shop vor.