Im BlickfeldÜbernahmeangebot

Rätselraten um Kursentwicklung von Covestro

Der Aktienkurs von Covestro ist wie festgenagelt in einer engen Kursspanne zwischen 58 und 58,50 Euro. Dabei gibt es kaum Zweifel, dass Adnoc mit dem angekündigten Übernahmeangebot über 62 Euro Erfolg haben wird. Auf Spurensuche.

Rätselraten um Kursentwicklung von Covestro

Covestro-Aktionäre
brauchen viel Geduld

Aktienkurs noch deutlich vom Angebotspreis von Adnoc entfernt

Von Annette Becker, Köln

Mehr als 15 Monate warten die Aktionäre von Covestro nun schon auf das Übernahmeangebot von Adnoc. In den nächsten Wochen soll die offizielle Offerte lanciert werden. Im Erfolgsfall wäre es das erste Mal, dass ein Investor aus den Golfstaaten einen Dax-Konzern übernimmt. Das Management von Covestro hat lange und gut verhandelt: Neben Investitionszusagen und der uneingeschränkten Unterstützung des strategischen Kurses hat der Kunststoffkonzern weitreichende Zugeständnisse hinsichtlich der Governance und der Beibehaltung der bewährten Mitbestimmungskultur herausgeholt.

Angebot kann sich sehen lassen

Der angekündigte Angebotspreis von 62 Euro je Aktie kann sich ebenfalls sehen lassen. Er entspricht einem Aufschlag auf den von Spekulationen unbeeinflussten Kurs von Mitte Juni 2023 von 54%. Auf den Schlusskurs vom 23. Juni dieses Jahres, als Covestro den Start der Due Diligence samt indikativem Angebotspreis von 62 Euro bekannt gab, errechnet sich immer noch ein Aufschlag von 21%. Es ist müßig zu fragen, ob Adnoc mit weniger Zugeständnissen tiefer in die Tasche gegriffen hätte.

Die Aktie ist jedoch wie festgenagelt in einer engen Kursspanne zwischen 58 und 58,50 Euro. Für Arbitragejäger scheint sich auf den ersten Blick eine ziemlich risikolose Chance zu bieten, zumal auch Analysten ihre Kursziele reihenweise auf den Übernahmepreis angehoben haben. Sie raten überwiegend zum Halten der Aktie, um sie in die Offerte einzureichen.

Kein Nachschlag erwartet

Am Zustandekommen der von langer Hand geplanten Übernahme gibt es letztlich kaum Zweifel, zumal die Mindestannahmequote bei lediglich 50% plus eine Aktie liegt. Das Aktienkapital ist breit gestreut und auch die regulatorischen Hürden dürften, selbst wenn sie zeitraubend sind, kein echtes Hindernis darstellen. „Mit einem wesentlichen Nachschlag oder einem Gegenangebot rechne ich nicht“, sagt Ulle Wörner, der bei der LBBW für die Coverage des Chemiesektors zuständig ist.

Warum also die Diskrepanz zwischen aktuellem Kursniveau und Angebotspreis? „Bis zum Abschluss ist noch ein relativ langer Zeitraum, da kann noch einiges passieren“, gibt Wörner zu bedenken und ergänzt: „Außerdem liegt das offizielle Angebot noch nicht auf dem Tisch.“ Die offizielle Offerte soll Mitte November vorliegen, mit dem Abschluss wird aufgrund der erforderlichen regulatorischen Freigaben jedoch erst in der zweiten Jahreshälfte 2025 gerechnet.

MAC-Klausel

Das ist insofern relevant, als nicht ganz klar ist, was passiert, sollte es zu einer wesentlichen Verschlechterung der Ergebnisentwicklung kommen. Die sogenannte Material Adverse Change-Klausel (MAC-Klausel) war im Investorencall am 1. Oktober nur kurz gestreift worden. Sie kommt zum Tragen, wenn Umstände eintreten, die einzeln oder in ihrer Gesamtheit zu einer wiederkehrenden negativen Auswirkung auf das operative Konzernergebnis vor Abschreibungen (Ebitda) von mehr als 400 Mill. Euro in den Geschäftsjahren 2024, 2025 und 2026 führen. Die Klausel gilt allerdings nur für den Zeitraum der ersten Annahmefrist, die sich nach Unternehmensangaben auf vier bis fünf Wochen belaufen dürfte.

„Da die genauen Folgen der Klausel unklar sind, kann ich die abwartende Haltung der Investoren verstehen“, sagt Wörner. „Ich sehe aber nicht, dass Adnoc ein Interesse hat, den Deal aufgrund kurzfristiger Verwerfungen abzublasen. In meinen Augen ist Adnoc ein langfristig orientierter Investor“, ergänzt der Analyst.

Dass die Klausel gezogen werden muss, hält auch der Covestro-Vorstand für wenig wahrscheinlich. Selbst bei Adnoc dürfte davon niemand ausgehen. Warum sonst hätten sich die Ölscheiche schon vor Beginn der offiziellen Offerte mit 8,5% bei Covestro einkaufen sollen? Weitere Zukäufe am Markt sind auch während der laufenden Offerte ausdrücklich möglich. Beinahe im Tagesrhythmus melden Investmentbanken neue Wasserstände zu ihrem Anteilsbesitz.

Alle Stakeholder profitieren

Am Angebotspreis gibt es wenig auszusetzen, auch wenn sich manch ein Aktionär womöglich mehr erhoffte. „Aus heutiger Sicht ist das Angebot attraktiv“, sagt Wörner mit Verweis auf die schwierigen Rahmenbedingungen für die deutsche Chemieindustrie. Arne Rautenberg, Fondsmanager bei Union Investment, ist von der Offerte ebenfalls angetan: „Adnoc und Covestro haben ein Paket geschnürt, von dem sämtliche Stakeholder profitieren.“

Selbst für die Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) ist „der Angebotspreis nicht per se unattraktiv“. Dennoch ist Frederik Beckendorff von der DSW mit der Art des Angebots unzufrieden: „Dass den Covestro-Aktionären mit dem Verlust der Börsennotierung gedroht wird, lässt aus der – zumindest aus Verwaltungssicht – einvernehmlichen und damit freundlichen Übernahme einen für die Aktionäre doch klar unfreundlichen Akt werden.“ Konkret ärgert Beckendorff, dass der Vorstand – vorbehaltlich seiner aktienrechtlichen Pflichten – zugestimmt hat, Delisting und/oder Squeeze-out zu unterstützen, sollte Adnoc das anstreben. Mehr will die DSW dazu nicht sagen.

Beherrschungsvertrag

Zugleich formulieren die Aktionärsschützer die Erwartung, „dass bei Erreichen einer dominierenden Stellung von Adnoc über einen entsprechenden Beherrschungsvertrag klare Verhältnisse zum Schutz der Minderheitsaktionäre geschaffen werden“. Den Abschluss eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrags (BGAV) haben die Parteien in ihrer Vereinbarung jedoch klipp und klar ausgeschlossen. Solange der Investitionspakt läuft, also bis Ende 2028, werde kein Beherrschungsvertrag geschlossen. Mindestens bis dahin wird Covestro als Aktiengesellschaft deutschen Rechts mit Sitz in Leverkusen geführt.

Benötigt Adnoc für ein Delisting oder einen Squeeze-out 90% bzw. 95%, sind für den Abschluss eines BGAV nur 75% des Grundkapitals erforderlich. Wenngleich der zugesicherte Verzicht auf einen BGAV vermutlich nicht in erster Linie zur Abschreckung von Aktionärsaktivisten gedacht ist, dürfte Investoren, die es auf den schnellen Euro abgesehen haben, damit ein wenig der Wind aus den Segeln genommen sein.

Keine Dividende

Damit schwindet für die Minderheitsaktionäre aber auch die Hoffnung auf eine Garantiedividende. Vielmehr dürften Dividendenzahlungen absehbar kein Thema sein. Denn der staatliche Öl- und Gaskonzern aus Abu Dhabi lässt sich von der Vision leiten, „eines der weltweit fünftgrößten Chemieunternehmen zu werden“, wie es Adnoc-CEO Sultan Ahmed Al Jaber formuliert. Daher winken Covestro mit Abschluss des Angebots zunächst einmal 1,2 Mrd. Euro in Form frischer Eigenmittel statt üppiger Ausschüttungsforderungen. Adnoc zeichnet dann eine Kapitalerhöhung in Höhe von 10%.

Dass es für den laufenden Turnus laut Investitionsvereinbarung keine Dividende gibt, dürfte dagegen keinen Investor jucken. Weithin wird davon ausgegangen, dass die Leverkusener 2024 unter dem Strich rote Zahlen schreiben, so dass eine Ausschüttung auch ohne Übernahmeangebot ausgefallen wäre.

Denken in Dekaden

Bleibt die Frage nach Aktionärsaktivisten wie beispielsweise dem Hedgefonds Elliott, die in der Vergangenheit schon manch perfekt geglaubten Deal zumindest ins Wanken brachten. An Adnoc könnte sich aber selbst Paul Singer die Zähne ausbeißen, hat der Staatskonzern aus Abu Dhabi in den vergangenen 15 Monaten doch eindrucksvoll belegt, keine Eile zu haben. „Adnoc hat einen deutlichen Vorteil gegenüber Aktivisten. Letzterer braucht tendenziell früher eine Rendite“, erläutert Wörner. Wer dagegen in Dekaden denkt, stellt andere Wirtschaftlichkeitsrechnungen auf.

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