Im BlickfeldEU-Gesetzgebung

Regulierer im Wettlauf gegen die Zeit

Im EU-Parlament ist Tempo angesagt. Nur wenn eine schnelle Einigung mit den nationalen Regierungen gelingt, können laufende Gesetzesverfahren noch vor der Europawahl abgeschlossen werden.

Regulierer im Wettlauf gegen die Zeit

Regulierer im Wettlauf gegen die Zeit

Im EU-Parlament ist Tempo angesagt. Nur wenn eine schnelle Verständigung mit den nationalen Regierungen im Rat gelingt, können laufende Gesetzesverfahren noch vor der Europawahl abgeschlossen werden. Sonst waren die bisherigen Mühen unter Umständen vergebens.

Von Detlef Fechtner, Frankfurt

Der Countdown hat begonnen: In gut fünf Monaten, vom 6. bis 9. Juni 2024, wird in den 27 Mitgliedstaaten ein neues Europäisches Parlament gewählt. Entsprechend eilig haben es nun die beiden Co-Gesetzgeber der EU, nämlich die nationalen Regierungen im Ministerrat und die Europaabgeordneten im EU-Parlament, laufende Gesetzgebungsverfahren abzuschließen. Denn es ist längst nicht ausgemacht, dass die Europaabgeordneten im neugewählten Parlament im Herbst diejenigen Gesetzgebungsverfahren fortführen, die bis zur Europawahl nicht erfolgreich zu Ende gebracht werden konnten.

Auf europäischer Ebene existiert zwar, anders als in Deutschland, kein Diskontinuitätsprinzip. Das bedeutet, dass unabgeschlossene Gesetzgebungsverfahren nach der Europawahl nicht zwangsläufig aufgegeben werden. Aber es heißt andererseits auch nicht, dass das neue Parlament alte Gesetzgebungsverfahren auf jeden Fall fortführt. Vielmehr kommt es darauf an, wie weit die Verhandlungen über einen bestimmten Gesetzesentwurf bereits gediehen sind.

Hektische Betriebsamkeit

Bislang ist es Praxis, ein Dossier weiterzuführen, falls das (alte) Parlament bereits eine gemeinsame Position beschlossen hat. Falls nicht, entscheidet die Konferenz der Präsidenten des (neuen) Parlaments, ob an einem Gesetzesentwurf weitergearbeitet wird oder ob er im Papierkorb landet. Dass die Europawahlen näher rücken, lässt sich an der hektischen Betriebsamkeit beobachten, mit der versucht wird, Gesetzesverfahren noch so weit wie möglich voranzutreiben. Das gilt etwa für die EU-Kleinanlegerstrategie (Retail Investment Strategy), kurz: RIS. Sie regelt unter anderem, unter welchen Bedingungen Zuwendungen der Hersteller von Finanzprodukten, etwa Fondsanbieter, an Finanzberater fließen dürfen. Die Berichterstatterin – also die federführende Europaabgeordnete – dieser Gesetzesinitiative, die Französin Stephanie Yon-Courtin, hält ihre Kollegen schwer auf Trab. Yon-Courtin hat bis März fünf Treffen sowie sieben technische Sitzungen anberaumt. Ziel ist es, den Boden für eine Verständigung im Wirtschafts- und Währungsausschuss Ende März zu bereiten. Theoretisch wäre dann noch eine Bestätigung in der letzten Plenarsitzung des EU-Parlaments Ende April möglich.

Für eine Verständigung mit dem Rat – die letzte Gesetzgebungs-Etappe – ist es dann jedoch zu spät. In dieser Legislaturperiode wird es daher nichts mehr mit der Verabschiedung der Kleinanlegerstrategie. Nicht nur, weil allein die Übersetzung der Rechtstexte zu viel Zeit in Anspruch nehmen würde. Sondern auch, weil noch hitzige Kontroversen absehbar sind, vor allem über das partielle Provisionsverbot, also das Verbot von Zuwendungen von Produktherstellern an die Berater für sogenannte „reine Ausführungsgeschäfte“ (execution only). Die deutsche Finanzbranche dürfte es freuen, dass sich die Verabschiedung verzögert, denn ein Provisionsverbot würde erhebliche Anpassungen der Geschäftsmodelle nötig machen.

Die Motivation von Yon-Courtin, nun zumindest noch eine gemeinsame Haltung des EU-Parlaments auszuverhandeln, ist die Hoffnung, dass dann Unterhändler von Parlament und Rat im Herbst direkt in die Schlussverhandlungen – den Trilog – einsteigen könnten. Ob die französische Liberale zu diesem Zeitpunkt noch die Berichterstatterin des Dossiers sein wird, ist indes mit einem Fragezeichen zu versehen. Schließlich sagen die Prognosen gerade für die Liberalen spürbare Stimmenverluste voraus.

Reisediplomatie für Stabilitätspakt

Hektische Bemühungen um eine rasche Verständigung waren zuletzt auch bei einem ganz anderen Dossier zu beobachten – bei der Reform des Stabilitäts- und Wachstumspakts. In diesem Fall war es allerdings der zweite EU-Gesetzgeber, der Ministerrat, der bemüht war, sich zu sputen. Bundesfinanzminister Christian Lindner machte kurz vor Weihnachten noch extra einen Abstecher zu seinem französischen Amtskollegen Bruno Le Maire, um mit dieser Reisediplomatie das Verfahren zu beschleunigen. Was den beiden im Übrigen auch gelungen ist: Wenige Stunden nach dem Rendezvous in Paris beschlossen alle EU-Finanzminister eine einheitliche Ausgangsposition des Rats für das finale Geschacher mit dem EU-Parlament. Dieser Kompromiss des Rats sieht einerseits die Einführung von „Sicherheitslinien“ vor, auf die Deutschland bestanden hatte – konkret sind das Puffer, damit etwa die 3-Prozent-Defizitschwelle nicht bei der kleinsten konjunkturellen Eintrübung überschritten wird. Andererseits enthält der Kompromiss Schutzklauseln, die zum Beispiel mehr Zeit bei der Rückführung hoher Schuldenberge erlauben – ein Wunsch einiger hoch verschuldeter Länder im Süden Europas. Im Januar wird der Trilog starten.

EMIR und AMLA

Fortschritte gab es zuletzt auch mit Blick auf die Überarbeitung der Verordnung über europäische Marktinfrastrukturen, im Fachkauderwelsch: EMIR. Am 6. Dezember verständigte sich der Rat auf eine gemeinsame Linie für den Trilog. Inhalt von EMIR sind Vorschriften für außerbörslich gehandelte Derivate (OTC-Derivate), zentrale Gegenparteien (Central Counter Parties, CCP) und Transaktionsregister. Ebenfalls noch in der Gesetzgebungs-Pipeline der EU befinden sich neue Vorgaben zur Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung. Rat und EU-Parlament haben gerade vor zwei Wochen eine Verständigung über einzelne Teile des Antigeldwäschepakets erzielt. So herrscht Einvernehmen darüber, dass die künftige EU-Behörde (Anti Money Laundering Authority, AMLA) direkte und indirekte Aufsichtsbefugnisse über risikobehaftete Finanzinstitute haben und Geldbußen verhängen dürfen soll.

Andere Teile jedoch sind noch nicht fertig verhandelt. Zudem muss noch die schwierige Frage geklärt werden, in welcher Stadt die AMLA beheimatet sein wird. Es ist absehbar, dass das Antigeldwäschepaket erst dann final verabschiedet werden kann, wenn diese Verhandlungen – ebenso wie die Kontroverse über den Sitz der AMLA – beendet worden sind. Ob das im Frühjahr gelingt, ist ungewiss. Der belgischen EU-Ratspräsidentschaft trauen indes viele Beobachter zu, delikate Fragen zu lösen. Und die Auswahl der Stadt, in der die AMLA ihren Sitz finden wird, zählt ganz sicher zu diesen sensiblen Themen.

Es könnte sich der Eindruck aufdrängen, dass in der EU derzeit viele Verfahren offen sind und nichts zum Ende kommt. Das wäre freilich ein Trugschluss. Denn insbesondere in den vergangenen Wochen und Tagen haben die Co-Gesetzgeber der EU noch einige Triloge abschließen können. Aus Sicht der Finanzmarktteilnehmer waren vier Dossiers besonders relevant: erstens die Verständigung über striktere Eigenkapitalanforderungen an Banken (Umsetzung und Komplettierung von Basel III), zweitens die europäischen Regeln für Sofortzahlungen (Instant Payment), drittens die Überarbeitung des aufsichtlichen Rahmenwerks für Versicherer (Solvency II) und schließlich das EU-Lieferkettengesetz.

Einigung über „Output Floor“

So haben sich Ende Juni EU-Parlament und Rat auf strengere Kapitalvorschriften verständigt. In der EU tätige Banken müssen sich darauf einstellen, dass sie ab Anfang 2025 schrittweise mehr Eigenkapital vorhalten und weitere Auflagen erfüllen müssen. Herzstück des über Jahre ausgehandelten Bankenpakets ist, den Einsatz interner Modelle durch einen Schwellenwert („Output Floor“) zu beschränken.

Ein anderes Beispiel für den Abschluss von Verhandlungen liefert das Thema Instant Payment. Vor vier Wochen erzielten Unterhändler von Rat und EU-Parlament eine vorläufige Einigung über den Vorschlag für Sofortzahlungen. Er soll die Verfügbarkeit von Sofortzahlungsoptionen in Euro für Verbraucher sowie Unternehmen in der EU stärken, um weniger abhängig von Alipay, Apple Pay & Co. zu sein.

Schließlich stieg auch in den Beratungen über eines der komplexesten Gesetzgebungsdossiers der EU vor wenigen Wochen weißer Rauch auf. Am Ende eines knapp dreijährigen Überprüfungsprozesses haben sich EU-Parlament und Rat bei der inhaltlichen Überarbeitung der Rahmenrichtlinie über das Versicherungsaufsichtsrecht Solvency II vorläufig geeinigt. Wichtigstes Ergebnis ist nach Ansicht der EU-Kommission die Freisetzung von Kapital für langfristige Investitionen, das die Versicherer bislang in Form von Rückstellungen halten mussten: Dafür soll der Kapitalisierungssatz, der die Höhe der Reserven bestimmt, herabgesetzt werden.

Unter vehementem Protest aus der Wirtschaft ist es EU-Parlament und EU-Regierungen jüngst auch noch gelungen, eine Lieferketten-Richtlinie (CSDDD) zu beschließen. Unternehmen ab 500 Beschäftigten und 150 Mill. Euro Jahresumsatz sollen künftig sicherstellen, dass Geschäftspartner entlang ihrer gesamten Lieferketten auf Menschenrechte und Umwelt achten. Ganz fertig ist CSDDD noch nicht: Nach der Verständigung im Trilog sind noch technische Fragen zu klären. Das soll bis März geschehen.

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