LEITARTIKEL

Reizthema Dividende

Die Gewinnbeteiligung von Aktionären ist in der Coronakrise zum Thema öffentlicher Debatten geworden. Zahlreiche Politiker versuchen sich als Hüter sozialer Gerechtigkeit mit der Forderung hervorzutun, dass Unternehmen, die Staatshilfe in Anspruch...

Reizthema Dividende

Die Gewinnbeteiligung von Aktionären ist in der Coronakrise zum Thema öffentlicher Debatten geworden. Zahlreiche Politiker versuchen sich als Hüter sozialer Gerechtigkeit mit der Forderung hervorzutun, dass Unternehmen, die Staatshilfe in Anspruch nehmen, ihren Aktionären keine Dividende und ihren Vorständen keine Boni zahlen dürfen. Staatshilfe wird dabei weit gefasst. Zu Recht verwehrt sich BASF-Vorstandschef Martin Brudermüller dagegen, in Sippenhaft genommen zu werden, indem Kurzarbeit mit einem KfW-Notkredit oder einer rettenden Beteiligung der öffentlichen Hand gleichgesetzt wird. Unternehmen und Beschäftigte zahlen in die Arbeitslosenversicherung ein und tragen zur gemeinschaftlichen Finanzierung arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen bei. Es widerspricht allerdings dem Grundprinzip einer Sozialversicherung, wenn ein Konzernchef für sein Unternehmen die Ein- und Auszahlungen saldiert und suggeriert, er habe noch Anspruch auf die verbliebene Differenz.Als Geldgeber in der Not kann sich der Staat wie jeder andere Gläubiger vertraglich zusichern lassen, dass der Begünstigte über die Dauer der Finanzspritze hinweg bestimmte Pflichten erfüllt und Finanzkennzahlen einhält, um das Risiko eines Zahlungsausfalls einzugrenzen. So hat die Bundesregierung beim Aufspannen des Milliarden-Schutzschirms im März bereits signalisiert, dass Gewinnausschüttung und variable Organvergütung bei Inanspruchnahme beschränkt werden dürften. Die staatliche Förderbank KfW stellt in ihrem Programm zur Coronahilfe ebenfalls zu Recht klar, dass Gewinn- und Dividendenausschüttungen während der Laufzeit des Kredits nicht zulässig sind, was im Fall von Private Equity auch Entnahmen der Investoren ausschließt.Unternehmen in Liquiditätsschwierigkeiten, die sich nicht mehr über den Markt finanzieren können, werden für die Entscheidung zum Dividendenverzicht allerdings selten noch einen parlamentarischen Souffleur benötigen. Sonderfall ist Tui, die ihren Aktionären dank frühem Hauptversammlungstermin nach dem Ende September absolvierten Geschäftsjahr am 14. Februar in Verkennung des Ausmaßes der Krise noch 318 Mill. Euro überwies und wenige Wochen später bei der KfW um Staatshilfe anklingelte.Regulierung ohne individuelle Notlage trifft derzeit Banken und Versicherer, die von nationalen und internationalen Aufsehern aufgefordert werden, ihre Aktionäre zumindest temporär leer ausgehen zu lassen. Auch das stößt verständlicherweise auf Protest in finanzstarken Konzernen. Die Allianz, mit fast 4 Mrd. Euro Ausschüttungskönigin im Dax, betrachtet sich als resistent und hält an der Aufstockung der Dividende vollumfänglich fest mit Hinweis, dass die Ausschüttung für viele Privataktionäre sowie Pensionsfonds und andere institutionelle Anleger “ein wichtiger Einkommensbestandteil” sei. Auf der Hauptversammlung des Versicherungskonzerns gestern stieß die Erhöhung vereinzelt auf Kritik, in der Abstimmung votierten dann in großer Einmütigkeit jedoch fast 98 % für den Geldsegen.Eine stabile Dividendenpolitik ist für viele Unternehmen ein zentrales Anliegen, um das Vertrauen der Investoren zu bewahren. Gleichzeitig darf die Ausschüttung aber aus Sicht der Anleger die Liquiditätssituation der Konzerne nicht strapazieren. Derzeit ist es extrem schwer, eine Balance zu finden, weil für die meisten Firmen schwer vorhersehbar ist, wie sich die Krise in den nächsten Monaten im Ertrag niederschlagen wird. Unabhängig davon legen auch Investoren zunehmend Wert darauf, dass Unternehmen nicht nur Aktionärsinteressen pflegen, sondern gleichzeitig sozial und ökologisch handeln. Sie müssen sich also ihrer Verantwortung in der Gesellschaft bewusst sein und die öffentliche Wirkung ihrer Entscheidungen berücksichtigen – in der Vorstandsvergütung und in der Dividende. Manches Unternehmen kann sich mit der gesetzlich ermöglichten Verschiebung der Hauptversammlung Zeit verschaffen, um später im Jahr einen vernünftigen Dividendenbeschluss zu fassen. Viele haben vorsichtshalber die Ausschüttung gestrichen, mancher Konzern gewährt aus Furcht vor Klagen die gesetzliche Mindestausschüttung von 4 % des Grundkapitals. Mehr Spielraum wäre hilfreich. Einige Firmen haben mit Aktiendividenden Flexibilität für Phasen erlangt, in denen die Liquidität geschont werden muss. Größere Freiheit gibt es in Ländern, wo Interimsdividenden möglich sind. Damit kann man sich in unübersichtlichen Zeiten sukzessive an eine Jahresausschüttung herantasten.——Von Sabine WadewitzKonzerne müssen sich in ihrem Selbstverständnis als Teil der Gesellschaft betrachten und die Außenwirkung der Dividende berücksichtigen.——