Roboter schlägt Dr. med.
Schlaue Maschine und der Mensch ergänzen sich perfekt. Das war die Botschaft der gerade beendeten Hannover Messe. Doch Industrie 4.0, die heraufziehende vierte industrielle Revolution, lässt ein weiteres Thema zwischen den smarten Apparaten durchschimmern. Mensch gegen Maschine. Fabrikarbeiter werden leiden. Und Akademiker wohl noch mehr.Die gute Nachricht: Der Mensch hat sich noch immer angepasst. Das zeigen die industriellen Revolutionen Nummer 1 bis 3. Dampfmaschine und Elektromotor machten Kraftprotze im Blaumann zu Kopfarbeitern. Computer sorgten dafür, dass Heerscharen von Rechenknechten die Ärmelschoner ablegen und sich ihrer verschüttet geglaubten kreativen Seite widmen durften. Auf der sicheren Seite im Arbeitskräftepool blieb, wer wesenstypische Eigenschaften des Homo sapiens in den Produktionsprozess einbrachte: Lernfähigkeit, Originalität, Empathie. Da waren Geräte mit Öl- und Elektroantrieb noch nicht so weit.Nun die schlechte Nachricht: Heute ist das anders. Wenn Maschinen und Alltagsgeräte mit Software zu einem Superorganismus verschmelzen, gelten neue Regeln. Schon einzelne moderne Apparaturen haben Eigenschaften, von denen man glaubte, sie seien typisch menschlich. Das war in Hannover zu sehen, aber auch schon anderswo. Zu welchen unmenschlichen Leistungen künstliche Intelligenz fähig ist, hat im vergangenen Jahr Deep Mind, die berüchtigte Abteilung für Artificial Intelligence (AI) von Google, gezeigt. Die Maschine hat bei dem Strategiespiel “Go” die erfahrensten Spieler ausgestochen – nicht mit plumper Rechenkraft, sondern mit kreativen Spielzügen. Vorher dachte man, für so was brauche man Bauchgefühl.Es sind Vor- und Nachdenker, die vor den Gefahren der superintelligenten Robotersysteme warnen. Dazu gehören der Physiker Stephen Hawking, Tesla- und SpaceX-Gründer Elon Musk sowie Microsoft-Gründer Bill Gates, der mit der Forderung einer Robotersteuer für Schlagzeilen gesorgt hat. Die Umwälzungen werden nicht nur ganze Gesellschaftsschichten treffen, sondern die Gesellschaft als Ganzes. Es geht jetzt nicht nur um menschenleere Fabriken, sondern auch verwaiste Wertpapierhandelssäle und roboterbevölkerte Krankenhäuser.Die vierte Welle der Industrialisierung wird Kopfarbeiter wohl härter treffen als Handwerker. Auf einmal stehen Jobs von Spezialisten mit Einser-Abitur, Prädikatsexamen und Doktortitel summa cum laude zur Disposition. In dem Buch “Only Humans Need Apply: Winners and Losers in the Age of Smart Machines” von Thomas H. Davenport und Julia Kirby werden als mögliche Loser benannt: Programmierer, Radiologen, Lehrer, Rechtsanwälte und – es schmerzt, das zu schreiben – Journalisten. Wenn sich eine Arbeit in Algorithmen umwandeln lässt, ist sie automatisierbar. Große Datenmengen sichten, Muster erkennen, Neues mit Bekanntem vergleichen, aus Erfahrung lernen und kreative Schlüsse ziehen können jetzt auch Maschinen. Also: Computerprogramme schreiben, Röntgenbilder interpretieren, Lernende unterrichten, Gesetzestexte anwenden, Zeitungsartikel verfassen. Maschinen, die aus Datensalat Finanz- oder Sportberichte zaubern, machen schon brauchbare Arbeit.Roboter schlägt Dr. med.: Im Vergleich zu manchem Mediziner, MBA-Absolvent und Volljurist hat der Erdbeerpflücker auf dem Feld den sichereren Job. Der Schluss drängt sich auf, wenn man sieht, wie unbeholfen auch die modernsten in Hannover vorgestellten Industrieroboter beim Hantieren mit komplexen Teilen in unstrukturierter Umgebung sind und wie groß gleichzeitig die Entwicklungssprünge bei Software mit künstlicher Intelligenz.Rund die Hälfte aller Jobs in den USA ist durch künstliche Intelligenz in Gefahr, warnt eine kürzlich erschienene Studie der Universität Oxford. Der Rust Belt 2.0 entsteht im Silicon Valley. Auch deshalb machen jetzt Pläne für ein bedingungsloses Grundeinkommen die Runde, die Massenverarmung und Weberaufstand 4.0 verhindern sollen. Befürworter der neuen Technik kontern, dass intelligente Apparate den Menschen nicht ersetzten, sondern allenfalls unterstützen.Wer glaubt’s? Die vierte industrielle Revolution, die in Hannover und anderswo Konturen gewinnt, wird den arbeitswilligen Menschen wohl stärker prägen als die Umbrüche zuvor. Was sie mit ihm macht, trifft vielleicht der englische Begriff “set free” am besten. Er kann bedeuten: befreien, entfesseln, freisetzen. Letzteres ist ein Euphemismus für entlassen.——–Von Daniel SchauberKünstliche Intelligenz macht’s möglich: Der Erdbeerpflücker auf dem Feld hat jetzt den sichereren Job als ein Doktor der Medizin.——-