Moskau

Rockmusiker, Gift, Humor und Pelikane

Putin beantwortet wohl ausgewählte Fragen seiner Bürger im Live-Fernsehen. Den „direkten Draht“ in den Kreml genießen die Künstler Russlands zwar nicht, aber immerhin haben sie ihren Humor nicht verloren.

Rockmusiker, Gift, Humor und Pelikane

Der heute 67-jährige Rockmusiker Andrej Makarewitsch, Gründer der ältesten noch aktiven Rockband Russlands, „Maschina Vremeni“ („Zeitmaschine“), gehört zu jenem winzigen Kreis an Leuten, die sich zu politisch-gesellschaftlichen Themen in einer radikalen Offenheit äußern, wie man es sonst nur vom mittlerweile inhaftierten Oppositionspolitiker Alexej Nawalny kennt. Und Humor hat er auch. Dieser Tage legte er in seinem Blog dar, womit er sich gerade so abmüht. Er versuche sich folgendes Bild vorzustellen: Washington, Weißes Haus, Oval Office. Und das Telefon klingelt am laufenden Band. „Herr Präsident? Wir sind aus Kentucky! Das Dach im hiesigen Kindergarten hat ein Loch, und die örtliche Regierung will es nicht richten! Könnten Sie …“ – „Wir gehen der Sache nach!“ – „Herr Präsident, ich komme aus Alabama! Eine Gasversorgung hat man uns versprochen, aber schon das dritte Jahr wird keine Leitung verlegt!“ – „Wir werden helfen!“

Mit aller Kraft versuche er, sich das für die USA vorzustellen, schreibt Makarewitsch. „Aber es gelingt mir einfach nicht.“ Makarewitschs Gedankenexperimente folgten auf den sogenannten „Direkten Draht“, also jene jährliche TV-Sendung, in der der russische Präsident Wladimir Putin sich vergangene Woche wieder den Fragen seiner Landsleute stellte. Hunderttausende Anliegen werden dabei an den Kreml herangetragen, wie dieser erklärte. Ein paar Dutzend davon beantwortete Putin dann live und zeigte wie jedes Jahr von Neuem, wohin seine Machtvertikale geführt hat: Nämlich dass er für alles im Land zuständig ist, weil ohne ihn nichts läuft, da erstens vielen vieles egal ist und zweitens diejenigen, denen es nicht egal ist, zu viel Eigeninitiative fürchten, weil sie genau dafür sehr leicht wieder eine auf die Mütze kriegen.

Ein Rockmusiker als Widerständler? Makarewitsch ist nicht der Einzige. Vor einigen Jahren hat sich eine andere nationale Größe, der Rockmusiker Jurij Schewtschuk, nach vorn gewagt und sich vor laufenden Kameras ein fünfzehnminütiges Rededuell mit Putin geliefert, dass einem schwummrig wurde.

Angst haben diese in die Jahre gekommenen Haudegen offenbar nicht. Zu viel haben sie erlebt, zu vertraut sind ihnen die Mechanismen des heutigen Autoritarismus und der früheren sowjetischen Diktatur. Schewtschuk war einst aufgrund seiner Lieder schon vom sowjetischen Geheimdienst KGB verhört worden, ehe er später die Massen auf den Konzerten seiner Kultband DDT versammelte.

Auf die beiden mutigen Rockmusiker gab es bisher zumindest keinen Giftanschlag. Bei anderen sieht die Sache schon anders aus. Denn wie kürzlich die Rechercheplattform Bellingcat enthüllte, soll es bereits 2019 auf den aufmüpfigen Schriftsteller Dmitrij Bykow einen Anschlag gegeben haben. Damals sei er an Bord eines Flugzeugs kollabiert und anschließend mehrere Tage im Koma gelegen. Die Symptome – Erbrechen und starke Schweißausbrüche – hätten denen bei Nawalnys Vergiftung geähnelt. Bereits ein Jahr zuvor hätten mehrere Agenten des russischen Inlandsgeheimdiensts FSB begonnen, Bykow zu beschatten.

Wenige Tage nach dieser Information erzählte der renommierte Schriftsteller Viktor Jerofejew im Radio, dass auch auf ihn vor ein paar Jahren ein Anschlag geplant gewesen sei. Bei einem Festival in Südrussland habe er im Hotel eine Trinkflasche bekommen und geöffnet. Weil sie ihm verdächtig vorkam, ließ er den Inhalt prüfen. Die Analyse ergab ein starkes Gift. Es ist etwas unheimlich geworden in Russland. Es erinnert an die Sowjetzeit, in der etwa gegen den später nach Deutschland emigrierten Schriftsteller Wladimir Wojnowitsch ein Giftanschlag verübt worden war. Bykow und die anderen haben ihren Humor nicht verloren: „Es schmeichelt meiner Selbstliebe als Autor unendlich, dass ich ihnen so stark missfalle“, sagte ersterer kürzlich Richtung Staatsapparat.

Und der vor drei Jahren verstorbene Wojnowitsch ließ in einem seiner letzten Bücher Putin als himbeerfarbenen Pelikan die Gattung der Pelikane retten. Diese waren nämlich – wie die Welt nach der „Befreiung“ der Krim erfuhr – so gut wie ausgerottet worden. Pelikan Putin nimmt sich der letzten beiden Pelikaneier an und brütet sie aus. Gut, man muss sagen: Sitzfleisch hat er.