Sánchez und seine mächtigen Stellvertreterinnen
Während in Berlin derzeit die erste Dreierkoalition in der Geschichte der Bundesrepublik ausgelotet wird, macht man in Spanien noch Erfahrung mit der ersten Koalitionsregierung überhaupt auf nationaler Ebene, mit den Sozialisten (PSOE) von Ministerpräsident Pedro Sánchez und dem Linksbündnis Unidas Podemos (UP). Seit dem Ende der Franco-Diktatur war immer nur eine Partei alleine an der Macht, wenn auch oft in Minderheit mit der Unterstützung diverser kleinerer Partner.
In Madrid hat es zwischen den Koalitionären seit deren Regierungsbeginn Anfang 2020 schon öfters geknirscht. Diese Tage ist eine neue Krise ausgebrochen, in deren Mittelpunkt die Reform des Arbeitsmarktes steht, die wohl wichtigste wirtschaftspolitische Aufgabe, von der zudem die Milliarden aus dem europäischen Aufbaufonds abhängen. Die Linken wollen die ungeliebte Reform der konservativen Vorgängerregierung ganz abschaffen, so wie es mit den Sozialisten vereinbart worden war. Ministerpräsident Sánchez hatte früher dasselbe gefordert, doch heute spricht der Sozialist lieber davon, die geltenden Regeln am Arbeitsmarkt zu „modernisieren“, aber nicht komplett in die Tonne zu treten.
Infolge der Finanzkrise hatte der konservative Mariano Rajoy 2012 eine drastische Änderung der Regeln am Arbeitsmarkt verfügt. Die Reform beinhaltete eine deutliche Schwächung der Arbeitnehmer und mehr Flexibilität für die Unternehmen. Das sicherte Jobs, führte aber auch zu einem Anstieg der prekären Arbeitsverhältnisse. Die Koalitionsregierung will daher die Gewerkschaften stärken. Darin sind sich Sozialisten und Linke einig, doch nicht bei der Frage, wie weit man dabei gehen soll. So kam es zum Eklat, der auch auf einer Krisensitzung der Koalitionäre am Montag nicht aus dem Weg geschafft werden konnte.
Im Mittelpunkt des Machtkampfes stehen die beiden mächtigen Stellvertreterinnen von Sánchez, die Wirtschaftsministerin Nadia Calviño von der PSOE und die Arbeitsministerin Yolanda Díaz von den Linken. Die ehemalige Generaldirektorin der Europäischen Kommission Calviño ist für Sánchez der Garant für gute Beziehungen in Brüssel und zum Arbeitgeberlager. Die erste stellvertretende Ministerpräsidentin koordiniert die gesamte Wirtschaftspolitik der Regierung und vertritt Spanien auf den Gipfeln des Ecofin. Calviño steht jedoch für etwas orthodoxere Wirtschaftsrezepte und kann mit einer radikalen Reform zugunsten der Arbeitnehmer nicht allzu viel anfangen. Ganz im Gegensatz zu Díaz. Die Juristin für Arbeitsrecht und Mitglied der Kommunistischen Partei, die Teil von Unidas Podemos ist, hat seit ihrem Amtsantritt Anfang 2020 Freund und Feind mit ihrem diplomatischen Geschick bei den Verhandlungen mit den Tarifpartnern überrascht. Sie konnte bereits einige Abkommen mit Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften erzielen. Sie will sich daher von Calviño nicht reinreden lassen. Ihr ginge es nicht um Personen, beteuerte Díaz, sondern um das Ziel der Arbeitsmarktreform. Und diesbezüglich müssten sich die Sozialisten festlegen.
Sánchez will dieses entscheidende Reformprojekt jedoch nicht der UP überlassen. Díaz wird aller Wahrscheinlichkeit nach die Spitzenkandidatin der Linken bei den nächsten Wahlen sein. Diese Idee hatte der Podemos-Gründer Pablo Iglesias ins Spiel gebracht, als er im Mai überraschend aus der Politik ausschied und Díaz die Führung der Linken in der Regierung vermachte. Die 50-Jährige, die wie Calviño aus dem nordwestlichen Galicien stammt, hegt große Pläne. In den letzten Wochen hat sie laut über die Gründung einer neuen Plattform nachgedacht, die über Podemos hinaus das gesamte Spektrum links von den Sozialisten abdecken soll. Für Sánchez ist diese Aussicht ein zweischneidiges Schwert. Auf der einen Seite dürfte die PSOE wohl auch in Zukunft auf eine starke Linke als Koalitionspartner angewiesen sein. Doch diese darf nicht zu stark werden. Díaz genießt derzeit nämlich die höchsten persönlichen Beliebtheitswerte in der spanischen Politik. Sánchez und Díaz bauen ganz auf die wirtschaftliche Erholung bis zu den anstehenden Wahlen im Jahr 2023, dank der Hilfen aus Brüssel. Doch dafür müssen sie sich über eine Arbeitsmarktreform einig werden.