Madrid

Sánchez will nicht alles in Madrid haben

Fast alle zentralstaatlichen Institutionen und Einrichtungen Spaniens befinden sich in der Hauptstadt. Ministerpräsident Pedro Sánchez will das nun ändern. Mit seinem Anliegen macht er sich nicht nur Freunde.

Sánchez will nicht alles in Madrid haben

Seit einiger Zeit läuft in Madrid eine Werbekampagne mit Plakaten auf den Straßen sowie Online-Anzeigen in diversen Medien unter dem Motto „Todo está en Madrid“ („Alles ist in Madrid“). Das Rathaus will mit dieser Initiative den Einzelhandel und die Gastronomie der Hauptstadt stützen, indem sie das sehr reichhaltige Angebot der Millionenmetropole bewirbt. Für Menschen im Rest Spaniens ist der Slogan jedoch doppeldeutig. Denn in der Tat sind auch so ziemlich alle zentralstaatlichen Institutionen und Einrichtungen in Madrid. Der sozialistische Ministerpräsident Pedro Sánchez hat nun ein altes Anliegen aufgewärmt: die Dezentralisierung des Landes. Mit der Ansiedlung von Behörden in den Provinzen erhofft sich die Regierung eine Stärkung von strukturschwachen ländlichen Räumen, aber auch einen politischen Effekt. Die Spanier und Spanierinnen sollen das Gefühl haben, dass der Staat im ganzen Lande präsent ist und man nicht aus Madrid gesteuert wird.

Madrid ist seit fast 500 Jahren die Hauptstadt Spaniens, nicht zuletzt dank seiner Lage in der geografischen Mitte der Iberischen Halbinsel. Doch erst die Bourbonen führten nach dem Dynastiewechsel Anfang des 18. Jahrhunderts eine starke Zentralisierung der Staatsverwaltung ein, die bis zum Ende der Franco-Diktatur anhielt. Mit der Rückkehr zur Demokratie 1978 verwandelte sich Spanien in einen föderalen Staat, in dem die 17 autonomen Regionen viele Kompetenzen bekommen haben. Doch alle wichtigen Institutionen des Zentralstaates befinden sich weiterhin in der Hauptstadt, auch die weniger wichtigen.

Ausnahmen sind selten. Vor Jahren saß die nationale Wettbewerbsaufsicht für die Telekommunikationsbranche CMT in Barcelona. Doch die konservative Regierung von Mariano Rajoy brachte die Kompetenzen im Rahmen einer Fusion aller Aufsichtsbehörden zur heutigen CNMC nach Madrid zurück. Die Verfechter der Dezentralisierung in Spanien nennen als Vorbild gerne die Bundesrepublik Deutschland, wo essenzielle Institutionen außerhalb Berlins sitzen, wie die Bundesbank, das Verfassungsgericht und der Bundesrechnungshof. Doch eine Verlegung solcher Organe von Madrid in andere Städte ist nicht im Gespräch, zumal die Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes vorsorglich massive Proteste gegen die Zwangsverlegung von Mitarbeitern angedroht hatten. Sánchez will jedoch alle neuen Behörden und Einrichtungen über das Land verteilen, sofern deren Präsenz in Madrid nicht unumgänglich ist. Das geht aus einem Plan hervor, den die Zeitung „El País“ am Montag bekannt machte.

Als Beispiel für diese Politik wird das Nationale Zentrum für Cybersicherheit (Incibe) angeführt, das vor 15 Jahren in León, einer Provinzhauptstadt mit 125000 Einwohnern in Kastilien-León, angesiedelt wurde. Das Incibe zählt 900 Mitarbeiter, doch sind in seinem Umfeld 75 Firmen entstanden, die weit mehr Menschen beschäftigen. Das Zentrum zur Datenverarbeitung der nationalen Sozialversicherung wurde in der strukturschwachen Kleinstadt Soria eingerichtet. Die staatliche Eisenbahngesellschaft Renfe hat fünf Technologiezentren auf Orte im dünn besiedelten Inneren des Landes verteilt. Geplant sind laut dem Bericht jetzt neue Lernzentren der Fernuniversität Uned, ein Forschungszentrum zur Energiespeicherung und andere zentralstaatliche Institute. Einigen der Regierungschefs der 17 Autonomen Gemeinschaften reicht das nicht. So fragt sich etwa der Ministerpräsident von Valencia, Sánchez’ Parteifreund Ximo Puig, warum das spanische Tourismusamt nicht in Palma sitzt oder das Institut für Ozeanografie nicht in Galicien am Atlantik statt im fast 400 Kilometer vom Meer gelegenen Madrid. Der sozialistische Landesfürst geht mit gutem Beispiel voran. So sitzt die regionale Tourismusbehörde nicht in der Hauptstadt Valencia, sondern in der Urlauberhochburg Benidorm.

Die Dezentralisierung stößt erwartungsgemäß auf Widerstand in Madrid. Die konservative Ministerpräsidentin der Region, Isabel Díaz Ayuso, wirft Sánchez vor, die Hauptstadt „enthaupten“ zu wollen. Angesichts des Wirtschaftsbooms der Metropole in den letzten Jahren und der täglichen Staus wird Madrid den Verlust von ein paar Hundert Staatsangestellten aber wohl verkraften können.