Kurskapriolen bei Windeln.de

Schief gewickelt

Dass der Börsenhype um Windeln.de schnell ins Stocken geraten ist, liegt auch an Unterschieden zur Rally der US-Meme-Stocks. Die BaFin hat ebenfalls ihren Teil dazu beigetragen – bleibt aber gefordert.

Schief gewickelt

Beim Börsenhype um Windeln.de haben aktivistische Kleinanleger inzwischen jeglichen Vorwand, es handle sich um eine fundamental zu rechtfertigende Rally, fallen gelassen. Zu Beginn der Kurskapriolen hatte noch die in deutschsprachigen Subforen der Plattform Reddit verbreitete Behauptung ge­standen, die Aufhebung der Ein-Kind-Politik in China helle die Geschäftsaussichten des Unternehmens massiv auf. Tatsächlich generiert Windeln.de rund drei Viertel ihres Umsatzes in der Volksrepublik – Effekte der neuen Vorgaben aus der Volksrepublik auf die Nachfrage dürften aber höchstens mit langer Zeitverzögerung spürbar werden. Zudem wäre der Babyausstatter aufgrund der angespannten Liquiditätssituation vielleicht gar nicht in der Lage, davon zu profitieren.

Narrativ beiseite gefegt

Mittlerweile scheint das China-Narrativ aber beiseite gefegt und durch pure Lust an der Kurstreiberei ersetzt worden zu sein. Nachdem auf eine Warnung der BaFin vor Kaufaufrufen im Internet am Donnerstag ein Kurssturz von über 30% gefolgt war, wurden Anleger, die nach eigenen Angaben viel Geld verloren hatten, von anderen Nutzern zum Nachkaufen gedrängt. Andere proklamierten das Ziel, die Aktie bis auf 10 Euro anzuschieben. Dass der Titel davon weit entfernt ist, liegt auch an einem entscheidenden Unterschied zwischen dem Hype um Windeln.de und der Rally vieler sogenannter Meme-Stocks aus den USA.

Denn bei Investitionen in Aktien von Gamestop und AMC können sich die Reddit-Aktivisten an einem gemeinsamen Feindbild austoben: Hedgefonds, die bei diesen Gesellschaften großvolumig Short-Positionen aufgebaut haben. Das Narrativ von einer organisierten Masse an Privatanlegern, die sich gegen die Finanzelite verbündet und in Not geratene Unternehmen rettet, verstärkt den Herdentrieb am Markt. Wobei sich ironischerweise Hinweise darauf verdichten, dass Hedgefonds, die algorithmenbasierte Momentum-Strategien verfolgen, ebenfalls bei der Rally der Meme-Stocks mitmischen.

Auch bezüglich Windeln.de kursierten in Internetforen wilde Gerüchte um chinesische Hedgefonds, die angeblich die Kurse drücken wollten, um die Gesellschaft günstig übernehmen zu können. Anleger, die daran glaubten, waren schief gewickelt: Im Bundesanzeiger liegen keine Meldungen über Leerverkaufspositionen in Aktien von Windeln.de vor. Weil diese Information infolge der medialen Berichterstattung auch in die Internetforen vorgedrungen ist, löst sich das zusammenschweißende Feindbild der chinesischen Hedgefonds in Luft auf.

Dass die Verbreiter solcher Gerüchte ihre Kommentare oft schnell wieder löschen, unterstreicht den Wahrheitsgehalt der jüngsten BaFin-Warnung, in der es heißt: „Häufig dienen Chat-Gruppen in sozialen Netzwerken lediglich dazu, Anleger zum Kauf von bestimmten Aktien zu verleiten, damit die Absender von steigenden Kursen dieser Aktien profitieren.“ Derartige Komplotte sind am Finanzmarkt nicht neu – doch während Kaufaufrufe früher in Anlegerjournalen verbreitet wurden, ermöglichen Social Media heute eine schnellere und großflächigere Publikation.

Es sind allerdings nicht nur Reddit-Investoren, die im Zuge des Hypes auf dem Rücken leichtgläubiger Kleinanleger Kasse machen. Bei AMC haben laut Einträgen bei der US-Börsenaufsicht SEC zuletzt hochrangige Manager große Aktienpakete abgestoßen. Dass offenbar selbst Insider Zweifel an einem anhaltenden Aufschwung haben, sollte Investoren zu denken geben. Zugleich nutzen die Unternehmen die Kursanstiege, um Aktien auf den Markt zu werfen. Bei Gamestop könnte eine weitere Kapitalerhöhung die Blase laut Analysten zum Platzen bringen – hinzu kommt, dass die SEC den Handel mit Aktien des Videospielhändlers prüft.

Außerdem erwägt die Aufsicht angeblich, Neobroker dazu zu verpflichten, vor Transaktionsabschluss Warnhinweise an Privatanleger zu schalten. Wenigstens ein paar Privatinvestoren könnten so eventuell vor gewaltigen Kursverlusten bewahrt werden. Auch die BaFin, deren Mandat natürlich nicht kongruent zu dem der SEC ist, sollte überlegen, welche Maßnahmen sie über ihre jüngste Warnung hinaus ergreifen kann. Denn gerade dem deutschen Markt, an dem Aktien gerade wieder etwas mehr Zuspruch erfahren, droht sonst ein herber Rückschlag. Schließlich könnte es den Enthusiasmus vieler junger Menschen nachhaltig dämpfen, wenn ihre erste Anlageerfahrung aus einem Totalverlust ihrer Investition in Windeln.de bestünde.

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