Schlechte Nachrichten für Handtaschendiebe
Was haben Bettler, Enkelkinder und Taschendiebe gemeinsam? Sie haben ein Problem, weil sich das Bezahlverhalten nun auch in Deutschland ändert. Über viele Jahrzehnte hinweg war zumindest hierzulande die Liebe zu Münzen und Scheinen so groß wie zum lokalen Fußballclub. Vor fünf Jahren etwa dokumentierte die Bundesbank in einer ungemein aufwendigen Studie, dass die Deutschen an der Kasse fast doppelt so häufig zum Bargeld greifen wie die Amerikaner. Und immerhin noch 50% öfter als Franzosen oder Niederländer. Doch diese Liebe der Bundesbürger zum wahren Baren bröckelt.
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In dieser Woche veröffentlichte Euro Kartensysteme eine Studie, der zufolge mittlerweile mehr Kunden an der Supermarktkasse lieber mit der Girocard zahlen als mit Scheinen und Münzen. Diese Entwicklung spiegelt sich im Einzelhandel wider. Im Westend gibt es die ersten Mittagsimbisse, die kein Bargeld mehr annehmen – und dies wohlgemerkt nicht nur pandemiebedingt aus Hygienegründen.
Einhergehend mit dem selteneren Einsatz von Bargeld tragen die Bundesbürger natürlich auch immer weniger Cash in ihren Portemonnaies und Hosentaschen mit sich herum. Der erwähnten Studie zufolge geben mehr als die Hälfte aller Deutschen an, normalerweise höchstens 50 Euro bei sich zu haben. Nur jeder Sechste hat noch mehr als 100 Euro im Geldbeutel. Was wiederum bedeutet, dass der mathematische Erwartungswert, mit dem Handtaschendiebe ihre Beute kalkulieren, heutzutage bei gerade einmal 71,20 Euro liegt.
Die schwindende Zahl von Münzen in Hosentaschen stellt auch Bettler vor neue Realitäten. Immer häufiger bekommen sie zu hören: „Ich habe gar kein Kleingeld dabei.“ Und immer öfter ist das nicht einmal eine Notlüge. Die neuen Trends im Bezahlverhalten dürften schließlich auch Weiterungen für Enkelkinder haben. Denn der eilig beim Abschied zugesteckte Zehn-Euro-Schein wird gewiss seltener, wenn Omi und Opi im Bezahlalltag längst auf Mobile Payment per Smartphone umgeschaltet haben.
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Ein Effekt der Ausbreitung digitaler Zahlverfahren ist schließlich, dass sich das Feindbild in der Schlange beim Einzelhändler verschoben hat. Spürten früher diejenigen den Groll der Wartenden, die ihren Einkauf mit einem Sack Münzen begleichen wollten und auf der Theke rotbraune Cent-Stücke auftürmten, so ziehen heute diejenigen den Unmut auf sich, die minutenlang erfolglos ihre Armbanduhr über den Kassensensor ziehen, weil technisch irgendetwas hakt, aber sie sich weigern, die 80 Cent für die Fanta-Dose bar zu begleichen.
Na klar, es gibt immer auch noch Oasen des Bargelds – wie etwa meinen Lieblingsgriechen, bei dem erstaunlich oft das Kartenlesegerät außer Betrieb ist – und merkwürdigerweise auch immer mal wieder der Drucker für die Bewirtungsbelege bockt. Ein Schelm, wem da irgendwelche Hintergedanken in den Kopf schießen.