Shell erringt Pyrrhussieg
Lawfare
Shell erringt Pyrrhussieg
Klagen von Aktivisten helfen nicht beim Schutz des Klimas. Bessere Ergebnisse liefert dafür Überzeugungsarbeit.
Von Andreas Hippin
Shell hat in den juristischen Auseinandersetzungen mit Klimaschützern einen Etappensieg errungen. Das niederländische Urteil von 2021, das dem Ölkonzern mit Blick auf seinen Beitrag zum Klimawandel de facto die Einstellung seiner Geschäftstätigkeit verordnete, wurde von einem Berufungsgericht kassiert.
Wie hätte das Unternehmen seine Treibhausgasemissionen im von den Klägern geforderten Maß reduzieren sollen, wenn nicht durch Selbstauflösung? Zumal das Gericht auch noch die sogenannten Scope-3-Emissionen mit einbezog, also die Emissionen, die entstehen, wenn Kunden wie etwa Fluggesellschaften die Produkte von Shell verwenden.
Die nächste Runde kommt bestimmt
Das Berufungsgericht verwies zwar auf die gesellschaftliche Verantwortung von Shell, hielt es jedoch für unangemessen, Ziele zu diktieren. Das sei die Aufgabe der Politik. Doch geht der Streit mit Sicherheit in eine weitere Runde. Der Oberste Gerichtshof der Niederlande könnte ja wieder im Sinne der Kläger entscheiden.
Einer der Gründe, warum sie ihren Sieg vor drei Jahren als historischen Wendepunkt feierten, war, dass das Gericht Shell auf das Pariser Klimaschutzabkommen verpflichten wollte. Dem erteilte das Berufungsgericht eine Absage.
Letzte Ausfahrt Straßburg
Doch die NGOs haben Geld genug für gute Anwälte. Die größten verfügen über Budgets, die an kleine Nationalstaaten wie Tuvalu oder Palau heranreichen. Sollten sie erneut scheitern, bleibt immer noch der Weg zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg. Schließlich halten sie den Schutz vor den Folgen des Klimawandels durch den Staat für ein Menschenrecht.
Die Europäische Menschenrechtskonvention entstand vor dem Hintergrund der Schrecken des Dritten Reichs. Sie enthält grundlegende Rechte wie das Recht auf Leben, das Verbot der Sklaverei und Zwangsarbeit sowie das Verbot von Folter. Doch hat sie der Gerichtshof zum lebendigen Instrument erklärt. Sie sei kein statischer Text, sondern müsse im Licht der jeweils aktuellen Verhältnisse ausgelegt werden.
Schleichende Ausweitung
Die schleichende Ausweitung seiner Zuständigkeiten kennt dabei keine Grenzen: Auslieferungen und Deportationen, Abtreibung, gleichgeschlechtliche Ehen und künstliche Befruchtung wurden in Straßburg bereits unter Berufung auf das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens verhandelt. Der Schutz vor den Folgen des Klimawandels wird sich auch irgendwo unterbringen lassen.
Das Problem an dieser Vorgehensweise ist, dass viele dieser Themen höchst umstritten sind. Das Bundesverfassungsgericht hat gut daran getan, sich aus den politischen Auseinandersetzungen um die Euro-Einführung so gut es eben ging herauszuhalten. Richter sind dazu da, das Recht anzuwenden. Die Bürger und ihre gewählten Vertreter entscheiden, wie das Recht aussehen soll.
Überzeugungsarbeit nötig
Der Streit um CO2-Emissionen ist kein Konflikt zwischen Individuum und Staat. Wie zu vielen in Straßburg verhandelten Fragen gibt es dazu unterschiedliche Meinungen in der Gesellschaft. Leider ist es den beteiligten Parteien oft zu mühsam, Überzeugungsarbeit zu leisten und gegebenenfalls Kompromisse einzugehen, um gemeinsam einen Schritt weiterzukommen.
Aktivistische Anwälte nehmen lieber die Abkürzung über das Gericht, um Dinge durchzudrücken, für die sie keine Mehrheit finden würden. Greta Thunbergs Wanderzirkus liefert die dafür nötige Geräuschkulisse. Das Lawfare genannte Phänomen birgt erheblichen gesellschaftlichen Sprengstoff. Die Menschen werden sich zum Beispiel nicht diktieren lassen, wie viel Fleisch und Milchprodukte sie noch essen dürfen.
Shell muss aktiver werden
Shell hat einen Pyrrhussieg errungen. Das Unternehmen wäre gut beraten, immer wieder darauf hinzuweisen, dass Öl und Gas noch lange gebraucht werden. Um die Energiewende zum Erfolg zu machen, bedarf es keiner Urteile, sondern einer gesamtgesellschaftlichen Anstrengung.