Sloganomics
Im Reich der Mitte rumort es gewaltig. Wir schreiben das Jahr des 100. Geburtstags der Kommunistischen Partei Chinas und die Staatsführung lässt einen immer schärferen Wind durchs Land wehen, der eine politische Wende anzeigen soll. Paradoxerweise geht es zwar um Fortschrittsdenken in der „neuen Ära des Sozialismus chinesischer Prägung“ und die „Verjüngung“ beziehungsweise „Renaissance“ der chinesischen Gesellschaft, doch wird in erster Linie mit altkommunistischem Gedankengut und maoistischer Symbolik hantiert, um das Volk auf eine patriotisch angehauchte nationale Strategie einzuschwören.
Die dafür verwendeten Propagandamittel sind wie immer in China alles andere als subtil. Dennoch fällt auf, wie sehr die Kakophonie angeschwollen ist. Chinas durch und durch staats- und parteikontrollierte Medien sind seit jeher in der Zurückweisung westlicher Kulturgedanken, Demokratieideale und politischer Ausdrucksformen nicht zimperlich. Mittlerweile aber wird eine so emotional gefärbte Schmähkampagne gegenüber dem feindlichen Westen und anderen Helfershelfernationen aufgefahren, dass man schmerzliche Niveau- und Seriositätsverluste im Diskurs beklagen muss.
Natürlich hat das mediale Auftreten in erster Linie mit außenpolitischen Faktoren wie den dramatisch verschlechterten Beziehungen zu den USA und einer wachsenden Zahl von Intimfeindschaften mit anderen Nationen zu tun, aber es findet auch eine emotional gefärbte Auseinandersetzung mit marktwirtschaftlichen Konzepten und westlichen Kapitalismusformen statt, denen Chinas Parteiapparat nun reichlich Verwirrung stiftende hauseigene Ökonomiekonzepte entgegenstellt.
In der viel beschworenen neuen Ära des Sozialismus hat es bereits eine ganze Reihe von Wirtschaftslenkungsansätzen gegeben, die als chinesische Neuerfindung apostrophiert wurden. Ihnen ist gemeinsam, dass sie auf markigen Slogans beruhen, hinter denen angeblich ausgeklügelte Theorieansätze stecken, die sich normalsterblichen Ökonomen allerdings nie wirklich erschließen. Bis heute weiß man nicht so recht, was China unter einem neuen angebotsorientierten Wirtschaftsansatz versteht, der aber garantiert nichts mit neoklassischer Angebotstheorie oder gar Thatcherismus und Reaganomics zu tun haben dürfte. Von den dahinter zu vermutenden Strukturreformen hat man zumindest denkbar wenig gesehen.
Im vergangenen Jahr wurde dann die genialisch anmutende Theorie der dualen Kreisläufe propagiert, mit der es China gelingen soll, sich einerseits ganz auf die eigenen Wirtschaftskräfte und den Autarkiegedanken zu besinnen und andererseits offen wie nie zuvor ausländisches Kapital willkommen zu heißen, im Globalisierungstakt zu tanzen und jeglichen Entkoppelungstendenzen abzuschwören. Bislang vermag man zumindest noch keine rechten Fortschritte bei der Bewältigung dieser Quadratur des Kreises erkennen.
Die Sache mit den dualen Kreisläufen scheint auch nicht mehr ganz so wichtig zu sein, denn in den letzten Wochen sind neue, verführerisch klingende Slogans in den Umlauf geraten, mit denen die Parteiführung unter dem Stichwort „Gemeinsamer Wohlstand“ eine neue Umverteilungspolitik anpreist. Mit der soll es endlich gelingen, das von Chinas behäbigen und unterfinanzierten Sozialsystemen nie wirklich angegangene Problem wachsender Einkommensdisparitäten oder – wenn man so will – die Kluft zwischen superreich und bettelarm anzugehen.
Neben der Sache mit dem Wohlstand für alle kursiert auch der ein wenig kommunistisch angehauchte Begriff der „ungeordneten Expansion des Kapitals“ in immer schnelleren Umdrehungen. Darunter mag man sich vieles vorstellen, aber dem Vernehmen nach geht es nicht darum, Chinas Kapitalmarktkultur zu bremsen oder den Finanzmarktmechanismen das Vertrauen zu entziehen. Vielmehr sieht man Chinas Regulatoren eine regelrechte Kontrollorgie über bestimmte Wirtschaftssektoren entfachen, denen man in gewisser Weise die Schuld für die noch unbefriedigende Wohlstandsverteilung in die Schuhe schiebt. In erster Linie ist das natürlich der heimische Internet- und Technologiesektor, dem seit Monaten mit einer allumfassenden Regulierungskampagne derart in die Parade gefahren worden ist, dass sich die Kapitalvernichtung in Börsenmarktwerten ausgedrückt auf rund 1,5 Bill. Dollar beläuft. Zunächst sieht es also eher nach einer ungeordneten Schrumpfung des Kapitals aus, aber vielleicht findet sich ja schon bald ein weiterer Slogan, der Chinas neue Ökonomiedenke noch besser erklärt. (Börsen-Zeitung, 10.9.2021)