Kapitalmarkt

Spac-Boom fordert Versicherungs­­branche heraus

Der schnelle Weg an die Börse führt über die Mantelfirmen namens Spacs. Doch was ist, wenn dabei die Sorgfalt flöten geht? Die Versicherer bieten in begrenztem Ausmaß Schutz.

Spac-Boom fordert Versicherungs­­branche heraus

Von Michael Flämig, München

Den Weg an die Börse zu verkürzen: Dieses Versprechen hat Spacs zu einem Hit im Kapitalmarkt gemacht. Denn die Methode der Mantelfirmen (Special Purpose Acquisition Companies), erst das Geld von Investoren einzusammeln und dann meist innerhalb von zwei Jahren ein etabliertes Unternehmen zu kaufen, scheint wie geschaffen in Zeiten von hartem Wettbewerb um gute Assets und an­ge­sichts einer überbordenden Liquidität. Doch wer schnell sein muss, der macht Fehler. Was tun?

Versicherungsschutz suchen, lautet die Lösung. Doch die Assekuranz steht damit, so gern sie auch neue Policen anbietet, vor Herausforderungen – wie Stephan Geis, der das Vermögensschaden-Geschäft (Fi­nan­cial Lines) des Allianz-Industrieversicherers AGCS in Zentral- und Osteuropa leitet, der Börsen-Zeitung sagt: „Das ist eines der schwierigsten Risiken, die wir in unserer Financial-Lines-Welt versichern können.“

Dabei ist der Bedarf offensichtlich. In der ersten Jahreshälfte habe sich die Zahl der angekündigten und ab­ge­schlossenen Spac-Fusionen in den USA mit 359 Anmeldungen und einem Gesamtvolumen von 95 Mrd. Dollar gegenüber dem Gesamtjahr 2020 mehr als verdoppelt, hat der Spezialversicherer AGCS im Rahmen seiner jüngsten Studie über die „Di­rectors and Officers“-Versicherung (D&O) ermittelt. Trotz des weniger günstigen Gesellschaftsrechts werde das Spac-Wachstum auch in Europa Fahrt aufnehmen, sagt Geis: „Wenn ich mir den Kalender für die geplanten Börsengänge im nächsten Jahr anschaue, dann bin ich mir sicher, dass uns das Thema weiterhin be­schäftigen wird.“ AGCS erhalte entsprechende Anfragen, könne aber an­gesichts der Komplexität der Materie nicht immer ein Angebot abgeben. Deutschland ist nach Meinung von Geis ein besonders relevanter Markt für Spacs. Familienunternehmen seien für sie interessante Zielobjekte, weil dort ein Generationswechsel stattfinde.

Wie ein Start-up

Die Krux der Spacs: Sie brauchen einen D&O-Schutz schon kurz nach ihrer Gründung. „Das ist die Kunst dieser Absicherung“, erklärt Geis. Denn für die Assekuranz sei es schwer, diese Vehikel einzuschätzen, die am Ende des Tages nichts anderes als ein Start-up seien. Beispielsweise sei es fraglich, ob das Management eine Zielgesellschaft zum Kauf finde. Am Ende der zweijährigen Suchphase steige jedoch der Druck, den Investoren eine Übernahme zu bieten – und damit auch das Risiko für Pflichtverletzungen des Managements.

Die zweite Herausforderung. „Mit einem Jahresvertrag kommt man bei einem Spac nicht klar“, sagt Geis. Es seien anders als bei den sonstigen D&O-Versicherungen zumeist zwei Jahre erforderlich, um die Dauer der Suche nach einem Übernahmekandidaten abzudecken.

Geis nennt fünf Faktoren, mit der die AGCS das Risiko in den Griff be­kommen will. Erstens müsse man stark sein in der Kommunikation: „Wir brauchen sehr viele Informationen. Sie müssen uns proaktiv geliefert werden.“ Dies unterscheide Spacs von schon bestehenden Unternehmen, deren Geschäftsverlauf in öffentlich zugänglichen Registern abgebildet sei. Man müsse zweitens während der gesamten Versicherungsdauer im Austausch bleiben. Weiterhin müsse sich die AGCS einen Überblick verschaffen über die Zielbranche, in die investiert werden solle. Wichtig sei auch der vierte Punkt: Welche Erfahrung haben die handelnden Akteure? Fünftens müsse berücksichtigt werden, wie die Investoren das Spac-Ziel beurteilten.

Die Assekuranz greift daher für Spacs meist zu maßgeschneiderten Be­dingungen. „In der Regel können wir Standardversicherungen der D&O in diesem Fall nicht nutzen“, sagt Geis. Das erhöhte Risiko spreche dafür, dass nur ein eingeschränkter Versicherungsschutz ge­bo­ten werde. Diese Beschränkung schlage sich nicht nur in der Höhe der Versicherungssumme nieder, son­dern in der Regel auch in den Ver­si­che­rungs­be­din­gungen.

AGCS habe Abschlüsse gezeichnet, sagt der Allianz-Manager. Die Zahl versicherter Spacs wollte er nicht nennen. Erste Infos über Schadenfälle der Gesamtbranche rund um Spacs machen die Runde im Markt. Das Hauptrisiko besteht laut Geis darin, dass bei der Auswahl und der Übernahme der Zielgesellschaft Pflichtverletzungen passieren können.

Mit der D&O-Police für die Mantelfirma ist es nicht getan. „Die Pros­pekt­haftpflichtversicherung rückt stärker in den Fokus“, berichtet Geis. Bei der Spac-Gründung werde Geld meist mittels einer Wertpapieremission eingesammelt: „In diesem ersten Schritt wird Schutz in Form einer Prospekthaftpflichtversicherung be­gehrt.“ Aber auch bei gelungener M&A gibt es Handlungsbedarf. Zwar habe das zu übernehmende Unternehmen häufig eine Managerhaftpflichtversicherung, berichtet Geis: „Aber mit der Neubeherrschung durch den Spac erlischt der Schutz häufig.“ Von diesem Zeitpunkt an werde eine neue Deckung benötigt.

D&O-Sanierung geht weiter

Für die Managerhaftpflicht-Versicherer gilt laut Geis: „Die Marktsanierung scheint fortgeschritten zu sein, sie ist aber offensichtlich noch nicht abgeschlossen.“ Dies gelte vor allem für jene Branchen, die besonders hart von der Pandemie getroffen worden seien. Die Kapazitäten, die die Versicherer für Deckungssummen bereitgestellt hätten, hätten im ablaufenden Jahr in geringerem Vo­lu­men zur Verfügung gestanden als vor zwei Jahren. Die Versicherungsbedingungen seien dem verschärften Risiko angepasst worden.

In den Abschlüssen zum 1. Januar 2022 habe sich der Trend fortgesetzt, sagt Geis: eingeschränkte Bedingungen, nicht angehobene Versicherungssummen und eine Erhöhung der Beiträge. „2021 hat eine weitere große Veränderung gebracht“, sagt Geis, ohne die Preiserhöhungen zu beziffern. Dem Makler Marsh zufolge ist der Preis im dritten Quartal um 15% gestiegen – es sei das 16. Quartal in Folge mit Erhöhungen.

Damit haben die Versicherer die Möglichkeit, sich aus einem Tal der Tränen herauszuarbeiten. Der Branchenverband GDV beziffert die Schadenquote der hiesigen D&O-Versicherer nach Abwicklung 2020 (ohne AGCS) auf 110,0%, nach 85,3%, 112,9%, 85,3% und 99,1% in den Vorjahren. Hinzu kommt die Kostenquote von 20 bis 30%, so dass die Branche im Schnitt immer Geld verlor. Das Jahr 2021 werde wohl nicht wesentlich besser ausfallen, immerhin seien Schadenfälle mit hohen Volumina öffentlich geworden, sagt Geis.

AGCS sieht nach den Preiserhöhungen wieder Chancen für Wachstum in ausgewählten Bereichen wie beispielsweise Dienstleister, produzierende Industrie, Handel und den Finanzsektor. Die Allianz schrecke vor dem Langfrist-Haftpflichtrisiko nicht zurück, sagt Geis: „AGCS investiert in Financial Lines als Longtail-Branche und sieht sich als langfristiger Partner.“ Diese Strategie funktioniere, weil die Allianz die Risiken sehr genau prüfe.

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