Madrid

Spaniens Hauptstadt sagt London und Frankfurt den Kampf an

Im Norden der spanischen Hauptstadt laufen die Bauarbeiten für ein riesiges neues Geschäfts- und Wohnviertel. Der „Distrito Financiero“ soll in den Wettbewerb um internationale Investoren und Talente treten.

Spaniens Hauptstadt sagt London und Frankfurt den Kampf an

An der Estación de Chamartín, mit Atocha einer der beiden großen Bahnhöfe Madrids, sieht es dieser Tage wüst aus. Die meisten Gleise und das Gebäude aus den siebziger Jahren werden aufwendig umgebaut. Auch auf den riesigen Brachen und Industrieflächen links und rechts des Bahnhofs herrscht reger Betrieb. Nach Jahrzehnten der Planung, politischen Tauziehens und diverser Krisen kommt das Mammutprojekt Madrid Nuevo Norte tatsächlich in Gang.

Im Schatten der fünf Wolkenkratzer im Norden der spanischen Hauptstadt, wo Unternehmen wie KPMG, Cepsa, die IE Business School und Botschaften untergebracht sind, soll auf 2,4 Mill. Quadratmetern ein neuer Stadtteil entstehen. Für den Bau von Wohn- und Bürohäusern sowie der nötigen Infra­struktur sieht die Betreibergesellschaft DCN, an der die Großbank BBVA, der Immobilienkonzern Merlin und die Baufirma San José beteiligt sind, Investitionen in Höhe von 25 Mrd. Euro vor.

Am Dienstag kündigte der Bürgermeister von Madrid, José Luis Martínez-Almeida, an, dass die Gegend um den Bahnhof Chamartín und die fünf Türme ein neuer eigenständiger Stadtteil werden soll, der 22. Distrikt der Metropole. Der „Distrito Financiero“ soll nach dem Willen des Stadtoberhauptes mit der Londoner City und Frankfurt im Wettbewerb um internationale Investitionen und Talente mithalten können. Madrid ist das wichtigste Finanzzentrum Spaniens, und es gibt schon lange Bestrebungen, den Standort im weltweiten Vergleich zu stärken. Als EZB-Vize Luis de Guindos noch spanischer Wirtschaftsminister war, misslang der Versuch, nach dem Brexit Europas Bankenaufsicht EBA nach Madrid zu holen.

Allzu viele Details über die geplante City gab Martínez-Almeida nicht preis. Der neue Stadtteil soll eine eigene Identität bekommen, mit eigenem urbanem Mobiliar und für ein Geschäftsviertel maßgeschneiderten städtischen Dienstleistungen. Der Politiker der konservativen Volkspartei PP stellt außerdem einen regulatorischen Rahmen für Sandbox-Experimente in Aussicht. Es geht aber vor allem darum, eine eigene Marke zu schaffen, „Madrid Distrito Financiero“, die internationale Anziehungskraft auf Investoren und hoch qualifizierte Fachkräfte ausübt. Mit der Strahlkraft dieses Projekts will Martínez-Almeida auch seine Wiederwahl im Mai 2023 sichern, denn der allgemeine Vorwurf lautet, dass der Bürgermeister in drei Jahren keine nennenswerte kommunale Initiative vorzuweisen hat.

Das internationale Image der spanischen Hauptstadt hat durch den Nato-Gipfel einen kräftigen Boost erfahren. Die Großveranstaltung, mit 40 offiziellen Delegationen und Tausenden zugereisten Journalisten, versetzte die Stadt für drei Tage in einen Ausnahmezustand. Am Ende verlief der Gipfel problemlos, und es gab Lob von allen Seiten für die spanischen Veranstalter, mal abgesehen von den Beschwerden der Pressevertreter über die hohen Preise in der Kantine des Medienzentrums.

Die Bilder der Staats- und Regierungschefs vor den Meisterwerken von Rubens, Velázquez oder Goya beim Galadinner im Prado-Museum waren Werbung erster Klasse. Spaniens Ministerpräsident Pedro Sánchez genoss die Aufmerksamkeit als Gastgeber und heimste reichlich Komplimente ein. Es wird bereits darüber spekuliert, dass sich der Sozialist für einen wichtigen internationalen Posten empfohlen hat, zumal es den Umfragen nach momentan düster aussieht vor den Wahlen im kommenden Jahr.

Nach der Euphorie des Gipfelzaubers kommt nun aber die ernüchternde Rechnung. Der Regierungschef machte seinen Gästen kostspielige Geschenke, von der Zusage an US-Präsident Joe Biden zur Stationierung zwei weiterer Zerstörer im spanischen US-Stützpunkt Rota bis zur Aufstockung des Verteidigungsetats auf 2% der Wirtschaftsleistung.

Der kleine Koalitionspartner der Sozialisten, das Linksbündnis Unidas Podemos, hat sich während des Gipfels auf die Zunge gebissen und die traditionelle Anti-Nato-Haltung heruntergeschluckt. Doch bei Sánchez’ Aufrüstungsplänen wollen die Linken nicht mitmachen und drohen sogar mit einer Blockade des Haushaltsplans. Dabei ist politische Stabilität im Lande gewiss ein wichtiger Faktor für das Renommee des neuen „Distrito Financiero“.

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