KOMMENTAR

Stahl weich

Europas Stahlindustrie steckt mitten in einer neuen Krise. Nach drei guten Jahren für die Branche ist die zweite Produktionskürzung bei ArcelorMittal binnen eines Monats nur das augenfälligste Symptom dafür, die Ursachen sind vielfältig. Die...

Stahl weich

Europas Stahlindustrie steckt mitten in einer neuen Krise. Nach drei guten Jahren für die Branche ist die zweite Produktionskürzung bei ArcelorMittal binnen eines Monats nur das augenfälligste Symptom dafür, die Ursachen sind vielfältig. Die Autoindustrie als wichtigster Kunde der Stahlhersteller bestellt weniger Bleche, weil sie selbst von einem Nachfragerückgang betroffen ist. Gleichzeitig haben die US-Einfuhrzölle auf Stahl einen Teil der bisher nach Amerika verschifften Mengen aus der Türkei und Russland auf den relativ offenen europäischen Markt umgelenkt.Zu allem Übel hat der große Dammbruch beim Eisenerzkonzern Vale in Brasilien eine Reihe von Bergwerksstilllegungen verursacht, so dass die Erzpreise kräftig gestiegen sind. Wegen der anhaltenden Importkonkurrenz ist es schwierig für Europas Stahlkonzerne, diese Preissteigerung beim Eisenerz an ihre Kunden weiterzureichen. Die Stahlsparte von Thyssenkrupp hat in der ersten Hälfte des laufenden Geschäftsjahres 2018/19 deshalb 84 Mill. Euro Verlust eingefahren und baut 2 000 von 27 000 Arbeitsplätzen ab. Ob Werke in Duisburg, Bochum, Dortmund oder im Siegerland geschlossen werden, ist noch offen.Anfang des Monats warnte der europäische Branchenverband Eurofer vor dem Beginn einer neuen Krise mit möglichen Werksschließungen. Die heimische Nachfrage in Deutschland und Europa schrumpft, gleichzeitig verschärft sich das Problem der Billigimporte. Während die USA unter Donald Trump auf Basis eines alten Gesetzes zur nationalen Sicherheit aus den Zeiten des Kalten Krieges hohe Einfuhrzölle verhängt haben, hinkt Europa mit den geplanten Gegenmaßnahmen hinterher. Es wurden “Schutzmaßnahmen” (Safeguard Measures) – also Zölle und Quoten – gegen die schnell ansteigenden Importe verhängt. Aber das genügt nach Ansicht der Branche noch nicht.In Europa wird mehr Stahl hergestellt als nachgefragt. Die Fusion der Thyssenkrupp-Stahlsparte mit dem indischen Konkurrenten ist an Kartellhürden gescheitert. Der Abbau von Überkapazitäten kommt nicht voran – obwohl ArcelorMittal im Jahr 2018 den italienischen Konkurrenten Ilva nach einem Umweltskandal aus staatlicher Kuratel zur Sanierung übernommen hat. Verwunderlich ist das nicht: Wer ein Stahlwerk schließt, hat erst einmal selbst hohe Kosten. Die Vorteile der durch die verringerte Produktion stabilisierten Preise verteilen sich dagegen gleichmäßig auf alle Marktteilnehmer. Da ist der Anreiz äußerst gering, den ersten Schritt zu machen. An der Stahlkrise wird sich wohl so bald nichts ändern.