Washington

Streit um Ohrmarken und Politikergehälter

In den USA sind die Gehälter der Kongressmitglieder seit 13 Jahren unverändert geblieben. Nun kämpfen sie für höhere Bezüge. Den Weg dafür sollen sogenannte „Ohrmarken“ bereiten.

Streit um Ohrmarken und Politikergehälter

Es handelt sich um einen der heikelsten Streitpunkte in der US-Politik, dem die meisten Parlamentarier in der Hoffnung aus dem Weg gehen, dass sich ihre Kollegen des Themas annehmen: Verdienen Mitglieder eines Kongresses, die im Ansehen der Wähler auf ein Rekordtief gefallen sind, höhere Gehälter? Der Abgeordnete Steny Hoyer (82), der demokratische Fraktionschef im Repräsentantenhaus, hat eine klare Antwort: Ja, schon längst. Nun hat er sich als Vorkämpfer für eine bessere Bezahlung profiliert, von der sowohl Kongressmitglieder als auch deren Stabsmitarbeiter profitieren sollen.

Auf den ersten Blick erscheinen seine Argumente stichhaltig. So wurden für Mitglieder des Repräsentantenhauses und des Senats die Jahresgehälter zuletzt im Jahr 2009 angehoben, und zwar um 2,8% auf 174000 Dollar, umgerechnet etwa 158000 Euro. Hinzu kommt, dass jüngere Stabsmitarbeiter oft weniger als 40000 Dollar verdienen und damit in einer so teuren Stadt wie Washington kaum über die Runden kommen.

Unbeeindruckt sind davon aber die meisten Wähler, die im November sämtliche 435 Mitglieder der unteren Kongresskammer und 35 der 100 Senatssitze bestimmen werden. Wie die unabhängige Website Realclearpolitics.com berichtet, sind nur 21% der Amerikaner mit der Leistung der Parlamentarier zufrieden. 68% der befragten Bürger meinen, dass ihre gewählten Vertreter einen schlechten Job machen.

Dafür hat Hoyer, der als dienstältester Demokrat seit über 40 Jahren im Repräsentantenhaus sitzt, eine Erklärung parat. Politiker seien in Wirklichkeit fleißig und deren mangelnde Popularität hänge nicht mit der Leistung zusammen, meint er. Schuld sei vielmehr das Verbot sogenannter „earmarks“, also von „Ohrmarken“. Dabei handelt es sich um zweckgebundene Etatposten, die Parlamentarier unauffällig in neue Gesetze einflechten wollen, um bestimmten Wählergruppen zu helfen. Der Begriff stammt von der amtlichen Kennzeichnung von Nutztieren, für die Ohrmarken verwendet werden, und soll die Einzigartigkeit von Ausgabenprogrammen illustrieren, die bestimmten Wählergruppen dienlich sind.

Verboten wurden die Ohrmarken, weil es in der Vergangenheit häufig zu Missbräuchen gekommen war. So wurde 2006 der republikanische Abgeordnete Duke Cunningham zu mehr als acht Jahren hinter Gittern verurteilt, weil er einzelnen Rüstungskonzernen lukrative Staatsaufträge zugeleitet und dafür Schmiergelder in Millionenhöhe kassiert hatte. Legendär war auch der Versuch des früheren Senators Ted Stevens aus Alaska, über 200 Mill. Dollar an Bundesmitteln völlig zweckfremd in ein Gesetz einzubauen. Mit dem Geld, das nie bewilligt wurde, wollte Stevens Alaskas Festland durch eine Brücke mit der Insel Gravina Island verbinden, die gerade einmal 50 Einwohner hat.

Hoyer und andere Kongressmitglieder argumentieren aber, dass die Ohrmarken in der Regel völlig legitim und sogar notwendig sind. Wie solle ein Abgeordneter, der einen ländlichen Bezirk in Iowa vertritt, wiedergewählt werden, wenn er nicht Zuschüsse für die Agrarindustrie fordert? Oder ein Politiker aus Pennsylvania, Ohio oder West Virginia, wenn er nicht die Interessen der Stahlkocher und der Bergarbeiter vertritt? Dass Parlamentarier so unbeliebt seien, liege eben daran, dass solche Etatposten jahrelang verboten gewesen seien, argumentiert Hoyer.

Folglich will er Ohrmarken wieder in vollem Umfang legalisieren. Die Logik dahinter: Abgeordnete würden dann im Ansehen ihrer Landsleute wieder steigen und könnten auch mehr Geld für sich sowie ihren Stab fordern, ohne bei Wählern anzuecken. Immerhin hat der Grandseigneur des Repräsentantenhauses einen Etappensieg vorzuweisen. In einem seltenen Akt überparteilicher Solidarität hat er zusammen mit Demokraten und Republikanern durchgesetzt, dass jeder Parlamentarier eine begrenzte Zahl von Ohrmarken fordern darf. Diese dürfen aber allein gemeinnützigen Projekten dienen, etwa Schulen, Krankenhäusern oder wohltätigen Organisationen. Damit soll der Weg frei werden, um das nächste Ziel zu erreichen: Gehaltserhöhungen für die Politiker selbst, deren Bezüge seit 13 Jahren stagnieren und die jetzt mit einer historisch hohen Inflation zu kämpfen haben.