Moskau

Taxifahrer Wladimir Putin

Die Russen haben Neues über ihren Staatschef erfahren, das diesem „unangenehm“ ist. Und immer mehr ehemalige Spitzenpolitiker aus dem Westen eifern Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder nach.

Taxifahrer Wladimir Putin

Es war schon einmal lustiger in Russland. Wen wundert’s. Die Inflation ist auf über 8% gestiegen und knabbert weiter an den real verfügbaren Einkommen, die ohnehin seit 2014 zurückgehen. Die Schere zwischen Arm und Reich enerviert. Ja, und die Konfrontation mit dem Westen, mit der Wladimir Putin früher die Gesellschaft hinter sich sammeln und mobilisieren konnte, hebt inzwischen nicht mehr das Rating des Kremlchefs. Zu diesem Schluss kommt jedenfalls das Meinungsforschungsinstitut Levada-Center in seinem Neujahrsbefund. Zumindest der dritte Punkt hat etwas Beruhigendes – auch wenn man sich sonst über den Befund des Levada-Soziologen Denis Wolkow, demzufolge das Land, sprich die Gesellschaft allen Daten zufolge „müde“ sei, nicht freuen muss.

Das Staatsfernsehen will die Bevölkerung bei Laune halten, wie es das seit zwei Jahrzehnten tut. Nur dass es dafür noch mehr Shows bestbezahlter Entertainer senden muss. Und noch mehr voraufgezeichnete sowie zensierte politische Talksendungen.

Hinter dieser Schallkulisse findet das echte Leben statt – und das auf mitunter erheiternde und meist ganz einfach banale Weise. Wie die Tatsache, dass nun auch Russland einen ersten Online-Service zur Suche verschwundener Haustiere hat. Sein Name: „Glücksschweif“. Gegründet natürlich von einem staatlichen Unternehmen. Aus der Datenbank Hunderttausender Vermisstenanzeigen werden Hunde zu 97% und Katzen zu 96,5% identifiziert, so das Versprechen. Auch gab es Neues über Putin zu erfahren: Der Kremlchef outete sich in einer Dokumentation in besagtem Staatsfernsehen, in den 1990er Jahren als Taxifahrer gearbeitet zu haben. Zuvor hatte er nur davon erzählt, einen solchen Job erwogen zu haben. „Es ist unangenehm, darüber zu reden, aber leider gab es das auch“, sagte er nun.

Unangenehmer müsste ihm eigentlich sein, wie er all seine Weggefährten und auch Verwandten an lukrativen Futtertrögen weiden ließ, wo sie im freien Wettbewerb wohl nicht so leicht gelandet wären. Etwa Kirill Schamalow, der schon im Jahr 2008 mit 26 Jahren Vizepräsident und später Großaktionär des landesweit größten Petrochemiekonzerns Sibur wurde. 2013 heiratete er Putins Tochter, 2018 wurden sie geschieden. Zuletzt war er Sibur-Aufsichtsrat. Im abgelaufenen Jahr verließ er den Posten und wurde vom ehemaligen französischen Premierminister François Fillon ersetzt. Dieser wurde übrigens ein paar Monate zuvor auch Aufsichtsrat im Staatskonzern Saru­beschneft, einem Ölfeldausstatter bei Projekten außerhalb Russlands.

Fillon ist der jüngste Fall in einem Reigen russischer Aufsichtsratsposten für westliche Ex-Politiker, der auch als „Schröderisierung“ bezeichnet wird. Neben Gerhard Schröder, Verwaltungsratschef der Pipeline Nord Stream 2 und des größten russischen Ölkonzerns Rosneft, sind heute auch die ehemalige US-Vizeaußenministerin Toby Trister Gati und Österreichs Ex-Kanzler Wolfgang Schüssel (beide beim Ölkonzern Lukoil) sowie Ex-Außenministerin Karin Kneissl (bei Rosneft) in Russland engagiert. Die Konzerne bauen – trotz antiwestlicher politischer Rhetorik – auf die Verbindungen dieser Personen im Westen. Und sei es nur, um sich angesichts der Spannungen und möglicher Sanktionen gewisse Vorteile zu verschaffen. Interessant übrigens: Vertreter aus China – dem größten Wirtschaftspartner – finden sich nicht in russischen Aufsichtsräten.

Auch chinesische Staatsbürgerschaften sind bei Russen nicht so begehrt. Umso begehrter dafür irgendwelche westlichen Pässe. Und auch dazu möchten wir für 2021 eine Information nachreichen, die zwar die Welt nicht aus den Angeln hebt, aber doch angesichts der tiefen Verwerfungen zwischen Ost und West eine kleine Notiz wert ist: Der russischstämmige und im Kreml wohlgelittene Multimilliardär Roman Abramowitsch, Besitzer des britischen Fußballclubs Chelsea, hat nun die portugiesische Staatsbürgerschaft erhalten, weil er erfolgreich nachgewiesen hatte, dass er Nachfahre (portugiesischer) sephardischer Juden ist. In England und der Schweiz kann er sich aufgrund von Reputationsrisiken ja nicht mehr aufhalten. Die portugiesische Staatsbürgerschaft ist neben der russischen und israelischen nun seine dritte.