Tektonische Verschiebungen im Markt für Aktienresearch
Tektonische Verschiebungen
Erst kam die Finanzmarktrichtlinie Mifid, dann der ETF-Boom und dann die abrupte Zinswende. Im Ergebnis ist es fast unmöglich geworden, mit Aktienresearch Geld zu verdienen. Das Nachsehen haben kleinere Emittenten – und Investoren, die in Nebenwerte investieren wollen.
Von Anna Sleegers, Frankfurt
Manchmal kommt es anders, als man denkt. Auch bei der Finanzmarktregulierung. Ein gutes Beispiel ist das Thema Aktienresearch, das sich die EU-Kommission vor einigen Jahren bei der Gestaltung der Finanzmarktrichtlinie unter dem Blickwinkel des Anlegerschutzes vorgeknöpft hat. Mit dem 2018 nach langen Konsultationen in Kraft gesetzten Regelwerk wollten die Regulatoren gleich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Zum einen sollten die (Neben-)Kosten des privaten Vermögensaufbaus sinken. Zum anderen sollten Banken und andere Finanzdienstleister aufhören, mit (vertriebs-)interessengelenkten Publikationen Aktienanlagen in den Markt zu drücken.
Transparenz gefordert
Gelingen sollte das durch das Verbot, die Kosten für das Research und andere Dienstleistungen als versteckte Kosten an die Käufer von Fondsanteilen weiterzugeben. Transparenz war das neue Mantra. Assetmanager sollten für Research-Arbeit und andere Dienstleistungen zahlen. Davon profitieren würden nach dem Willen der Regulatoren nicht nur die Verbraucher, sondern auf lange Sicht auch die Emittenten. Schließlich würde fundiertes und unabhängiges Research auch Unternehmen Zugang zum Kapitalmarkt verschaffen, die mangels Größe keine vertriebsstarken Banken im Rücken haben.
So weit die Theorie. Doch ein gutes halbes Jahrzehnt später sieht die Praxis anders aus. Zuerst verschwanden ausgerechnet die kleinen, unabhängigen Researchhäuser vom Markt. Sie waren in den Jahren des Aktienbooms um die Jahrtausendwende wie Pilze aus dem Boden geschossen, um den steigenden Bedarf nach Anlageinformationen zu decken.
Aufstieg der Plattformen
Nach und nach verschwanden Adressen wie Mainfirst oder Equinet vom Markt. Sie waren die ersten, die von Kürzungen betroffen waren, als die Assetmanager im Gefolge der neuen Spielregeln begannen, die eigenen Kostenstrukturen unter die Lupe zu nehmen. Mit immer weniger Abnehmern fiel es den kleinen Analystenhäusern zusehends schwer, kostendeckend zu arbeiten.
Aufgekauft wurden sie von Anbietern, die wie die US-Investmentbank Stifel oder Pareto auf den Aufbau paneuropäischer Plattformen abzielten. Die Ergänzung der Coverage der neuen Mutterhäuser, die zumeist auf den jeweiligen Heimatmarkt fokussierten, um kleinere und mittlere Emittenten aus Deutschland und anderen europäischen Märkten, war dabei durchaus erwünscht. Schließlich gilt gerade der deutsche Mittelstand als Rückgrat der Volkswirtschaft, und Nebenwerte versprachen in den langen Jahren niedriger und negativer Zinsen überdurchschnittliches Renditepotenzial.
Restrukturierungen reißen Löcher
Dann begannen die großen Restrukturierungsprogramme der beiden privaten Großbanken in Deutschland – und der Stellenabbau machte auch vor deren Research-Abteilungen nicht halt. Deutsche Bank und Commerzbank wählten dabei allerdings andere Wege. Obwohl die Deutsche Bank den vergleichsweise niedrigmargigen Aktienhandel, in dem sie nur ein Anbieter unter vielen war, dicht machte, unterhält sie bis heute nicht nur ein umfangreiches volkswirtschaftliches Research, sondern beschäftigt auch Analysten, die sich mit dem Aktienresearch beschäftigen.
Die kleinere Commerzbank entschied sich dagegen, 2021 nicht nur aus dem Aktienhandel, sondern auch aus dem Research auszusteigen. Um diese Dienstleistungen auf Kundenwunsch trotzdem noch anbieten zu können, ging das Institut eine Kooperationsvereinbarung mit der deutsch-französischen Oddo BHF ein. Das Wertpapierhaus bot gut einem Dutzend der rund 80 Commerzbank-Analysten eine neue Bleibe.
Neue Geschäftsmodelle
Den gleichen Weg schlugen auch die österreichische Raiffeisen Bank International (RBI), die niederländische ABN Amro, die spanische BBVA und Natixis aus Frankreich ein. Das verdeutlicht, dass es sich beim Exodus des Aktienresearchs nicht um ein pures deutsches Phänomen handelt. Weil sich mit dem reinen Aktienresearch kein Geld verdienen lässt und die Quersubventionierung durch die Assetmanager nicht mehr gestattet ist, mussten andere Geschäftsmodelle her.
Die Masse macht‘s
Oddo BHF versucht es damit, das Aktienresearch als zusätzliche Dienstleistung zu ihrer Equity-Sales-Plattform anzubieten. Auch hier sind die Margen zwar schmal, weshalb das Institut darauf angewiesen ist, viele Kooperationspartner zu finden. Die Masse an Abnehmern macht‘s aber. Immerhin unterhält Oddo BHF zurzeit noch ein Team von rund
70 Analysten, die europäische Aktien abdecken.
Für zusätzlichen Druck sorgte nach Angaben von Marktteilnehmern die historische Zinswende, die plötzlich wieder andere Anlageklassen in den Fokus rückte. Ganz zu schweigen vom Siegeszug passiv gemanagter Produkte, die den Auswahlprozess den marktgetriebenen Aktienindizes überlassen.
Fundamentalresearch zu kleinen und mittelgroßen Unternehmen wird in einem solchen Marktumfeld zu einem wahren Luxusartikel. Bezahlbar nur für die großen Adressen, sei es aus Imageerwägungen, sei es, um bei Börsengängen und anderen Platzierungen zum Zuge zu kommen.
Diese Erwägung steht auch hinter dem Joint Venture, das die Société Générale kürzlich mit AllianceBernstein gegründet hat. Um der harten Konkurrenz der finanzstarken US-Banken Paroli zu bieten, setzen die Franzosen auf eine transatlantische Kooperation. Geleitet wird der Research-Riese, der unter dem Namen Bernstein firmiert, von Robert van Brugge. Er führt bisher die Research-Einheit von AllianceBernstein, sein Stellvertreter Stephane Loiseau ist Chef des Cash-Equities-Geschäfts der Franzosen.
2029 will Société Générale alleiniger Eigentümer des transatlantischen Riesen werden. Mit rund 750 Mitarbeitern möchte Bernstein weltweit Coverage zu rund 1.000 Aktientiteln bieten. Dass davon nicht allzu viel auf kleinere Emittenten entfallen wird, lässt sich an zwei Händen abzählen.