LEITARTIKEL

Teurer Ausstieg

Die Beschlüsse der Kohlekommission der Bundesregierung markieren die Zeitenwende in der Stromversorgung Deutschlands: Nach dem für Ende 2022 geplanten Atomausstieg wird Deutschland ab spätestens 2038 als eines der ersten Industrieländer der Welt...

Teurer Ausstieg

Die Beschlüsse der Kohlekommission der Bundesregierung markieren die Zeitenwende in der Stromversorgung Deutschlands: Nach dem für Ende 2022 geplanten Atomausstieg wird Deutschland ab spätestens 2038 als eines der ersten Industrieländer der Welt neben Erdgas fast komplett auf erneuerbare Energien setzen. Schon bis Ende 2022 wird die Kapazität der Kohlekraftwerke um mehr als ein Viertel auf 30 Gigawatt reduziert, bis Ende 2030 auf 17 Gigawatt und bis 2038 auf null. Nach monatelangen Verhandlungen und einer Nachtsitzung haben 27 von 28 Mitgliedern der Kohlekommission für diese Lösung votiert. Auch die Bundesregierung hat schon die Umsetzung signalisiert.Für den Klimaschutz ist das eine gute Nachricht. Deutschland trägt seinen Anteil dazu bei, die Erderwärmung durch eine Halbierung der CO2- Emissionen bis 2030 dauerhaft auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen. Für die Steuerzahler wird der Ausstieg aber einen immensen Preis haben. In den nächsten 20 Jahren sollen die Braunkohle-Bundesländer Nordrhein-Westfalen, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg 40 Mrd. Euro für den Strukturwandel erhalten. Hinzu kommen Ausgleichszahlungen für die Frühverrentung von Beschäftigten der Kraftwerke und Tagebaue, die sich auf 5 Mrd. bis 7 Mrd. Euro summieren. Damit der Strompreisanstieg für Verbraucher und Unternehmen gedämpft wird, sind jährlich 2 Mrd. Euro eingeplant.Welche Folgen der Kohleausstieg für die am stärksten betroffenen Energiekonzerne RWE, Leag, Steag und Uniper genau haben wird, steht noch nicht fest. Welche Entschädigungen es für die vorzeitige Schließung von Kraftwerken gibt, ist noch offen. Da aber für die Überführung von Kraftwerken in die Sicherheitsbereitschaft staatlicherseits 600 Mill. Euro je Gigawatt gezahlt wurden, wird es in jedem Fall um einen Betrag von mehreren Milliarden Euro gehen. Die Vorfreude der Aktionäre zeigt sich bereits in einem tagelang gestiegenen Aktienkurs bei RWE. Allerdings machte sich zuletzt auch wieder Skepsis breit, ob die Zahlungen tatsächlich in der erhofften Höhe fließen werden. Denn die Rechtslage für die besonders alten Braunkohlekraftwerke, die als Erstes geschlossen werden sollen, macht die Zahlungen zumindest nicht zwingend.Vermutlich werden die Kraftwerksschließungen zum Teil in Form einer umgekehrten Auktion abgewickelt. Aus einer Gruppe von Kraftwerken, die dafür in Frage kommen, würden dann jene geschlossen, bei denen die Eigentümer die geringste Entschädigung fordern. Daneben empfiehlt die Kohlekommission, für bereits gebaute, aber noch nicht im Betrieb befindliche Kraftwerke eine Verhandlungslösung zu suchen, um diese Kraftwerke nicht in Betrieb zu nehmen. Konkret ist der Fall des neuen, fast fertigen und rund 1,2 Mrd. Euro teuren Steinkohlekraftwerks von Uniper in Datteln gemeint, dessen Hauptabnehmer die Deutsche Bahn werden soll.Genauer abschätzen lassen sich die Folgen des Kohleausstiegs für den Industriestandort, die Beschäftigten und Unternehmen und die Verbraucher erst dann, wenn die Details in Gesetzesform festgelegt werden. Bis Ende April dieses Jahres sollen die Eckpunkte für das Maßnahmengesetz und das Planungsbeschleunigungsgesetz vorliegen. Das hoffen jedenfalls die Ministerpräsidenten der Braunkohle-Bundesländer.Mit dem Abschlussbericht der Kohlekommission ist jedenfalls längst nicht alle Arbeit für die Planung des Kohleausstiegs getan, weil in dem 130-Seiten-Papier nur der grobe Rahmen skizziert wird. Zudem handelt es sich nur um Empfehlungen, denen die Bundesregierung allerdings wohl weitgehend wird folgen müssen, weil sonst der angestrebte gesellschaftliche Konsens verloren ginge, den die Zusammensetzung der Kohlekommission aus allen betroffenen Interessengruppen sicherstellen sollte. Wer zum Gewinner und wer zum Verlierer wird, ist zum großen Teil noch offen. Nur so viel steht fest: Für die Steuerzahler wird es teuer. Die Bundesregierung steht nun vor der schwierigen Aufgabe, auch in der Detailplanung des Großvorhabens weiter die Balance zu wahren – zwischen den widerstreitenden Zielen Klimaschutz, Versorgungssicherheit, Bezahlbarkeit von Strom und beim Ausgleich der Interessen. RWE hat bereits angekündigt, die geplanten Braunkohlekraftwerksschließungen könnten nicht allein im rheinischen Revier erbracht werden. Die Bundesregierung wird aber genau das anstreben, weil in Ostdeutschland im Jahr 2019 gleich drei Landtagswahlen anstehen. Das Hemd ist eben näher als die Hose.—–Von Christoph RuhkampDer Startschuss für den Kohleausstieg ist gefallen. Jetzt steht der Bundesregierung die schwierige Aufgabe des Interessenausgleichs bevor.—–