Neobroker

Tradingboom nicht abwürgen

Ein Verbot von Payment for Orderflow wäre nicht sachgerecht. Denn die Daten legen nahe, dass Anleger bei Neobrokern gut damit fahren.

Tradingboom nicht abwürgen

Nach der üblichen Sommerflaute im Brokerage hat das Geschehen im Herbst wieder angezogen. Und es lässt sich schon jetzt feststellen, dass die Privatanleger am Ball bleiben und sich der Tradingboom bei den jungen Investoren grundsätzlich fortsetzt. Denn wie aktuelle Daten zeigen, wurden im ersten Halbjahr 2021 bereits 1,4 Millionen neue Depots eingerichtet, nach 1,7 Millionen im äußerst lebendigen Vorjahr. Die für Jahrzehnte auf dem Sparbuch eingeschlafenen deutschen Anleger haben die Aktien- und ETF-Anlage für sich entdeckt, und neben dem kurzfristigen Rumspielen mit heißen Tech-Aktien haben sie auch Sparpläne für die langfristige Altersvorsorge in ihr Herz geschlossen.

Denn angesichts des anhaltend üppigen Steuerzuschusses für die gesetzliche Rente schwant dem Durchschnittsbürger, dass sich da was zusammenbraut und man deshalb gut beraten ist, neben dem vom negativen Realzins zerriebenen, aber ansonsten risikolosen Sparen die Säule der privaten Vorsorge über den Aktienmarkt zu stärken. Dabei agieren viele der jungen Anleger mit schmalem Budget und sind dementsprechend sensibilisiert für die Nebenkosten der Geldanlage am Kapitalmarkt. Dass man bei Trade Republic am Smartphone in einer App für pauschal 1 Euro pro Trade handeln kann, begründete den schnellen Erfolg des Neobrokers.

Doch das Modell ist nun in Gefahr geraten – und das ausgerechnet im Rahmen der Retail-Investmentrichtlinie der EU-Kommission. Dieses Regelwerk mit Updates für das Mifid/Mifir-Paket sieht einen Markt ohne Payment for Orderflow (PFOF) vor, womit Broker Rückvergütungen für die Weiterleitung der Handelsaufträge an Marketmaker erhalten. Diese Einnahmen von häufig 3 Euro pro Order nutzen die Broker dem Mifid-Passus folgend zur Gegenfinanzierung für günstige Gebühren und diese sind als Ausnahme erlaubt, sofern Kunden in der Handelsausführung „Best Execution“ erhalten. Eine jüngst mit einer Stichprobe von Trade-Republic-Kunden durchgeführte Studie zeigt, dass die Handelsqualität aus dem Orderflow diese Anforderung erfüllt, die Trades sogar zu 20% besser als Xetra ausgeführt werden.

Offen ist allerdings, ob wirklich alle Broker PFOF vorschriftsgemäß einsetzen: Die ESMA sprach schon im Juli von inhärenten Interessenkonflikten mit dem Verbraucherschutz und dass die Mifid-Kompatibilität in den meisten Fällen unwahrscheinlich sei – freilich ohne den Beweis zu führen. Broker und Marketmaker bestreiten diese Darstellung – und einzig FlatexDegiro­ wurde von EU-Kommissarin Mairead McGuiness in einer Stellungnahme exemplarisch genannt. Mit dem lautstarken Widerstand der Brokerage-Industrie konfrontiert, hat McGuiness aber inzwischen die Tür geöffnet für eine Neupositionierung im anstehenden Dialog mit dem Europaparlament: Bei dem Thema sei das letzte Wort noch nicht gesprochen und sie wolle die Neobroker nicht abschaffen – doch unreguliert wolle die EU das PFOF-Modell auch nicht lassen.

Dabei sind die Rückvergütungen mitnichten unreguliert, aber vielleicht in ihren Feinheiten noch nicht ausreichend erkannt. Da sollte die für Januar geplante Anhörung im Europaparlament für Klarheit sorgen. Anhand der vorhandenen Datenlage lassen sich Korridore definieren für das Verteilen der Rückvergütungen auf Neobroker und Privatkunde. Schwarze Schafe könnten dann mit Verboten belegt werden. Angesichts der Tatsache, dass Kunden bei Neobrokern auf allen Kostenebenen besser fahren als bei der Old-School-Konkurrenz, wäre es ein Treppenwitz der Geschichte, wenn ausgerechnet die zur Stärkung der Privatanleger ersonnene Retail-Investmentrichtlinie den deutsch-europäischen Tradingboom beenden würde.

Brüssel sollte außerdem die Karten aufdecken, wie weit man insgesamt mit dem Ausradieren der sogenannten versteckten Vergütungen im Wertpapierhandel gehen will. 15 bis 20% der Erträge im Brokerage stammen aus Rückvergütungen von Produktemittenten (Zertifikate und Hebelprodukte), hinzu kommen die Bestandspflegeprovisionen von Fonds. Die Erfahrung lehrt: Wenn das alles weg soll, dann kommen die Anbieter mit alternativen Gebührenkomponenten, um das Einnahmedefizit zu kompensieren. Die Summe der Einzelmaßnahmen muss dahingehend abgeklopft werden, was das inklusive Ausweichreaktionen der Broker für den Privatanleger bedeutet. Und da spricht doch viel dafür, dass reguliertes Payment for Orderflow ein sinnvoller Baustein für Privatanleger und Neobroker sein kann.

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