Notiert inTokio

„Trouble“ für Japans alte Garde

Ein Sexskandal bringt erhebliche Governance-Defizite in Japans Medien- und Unterhaltungsindustrie ans Licht. Den Preis zahlen junge Frauen.

„Trouble“ für Japans alte Garde

„Trouble“ für Japans alte Garde

Von Martin Fritz

Notiert in Tokio

Japanische Medien verwenden das japanisierte englische Wort „trouble“, wenn sie eine als unangenehm wahrgenommene Tatsache nicht explizit benennen wollen. Seit Wochen berichten sie zum Beispiel über den „trouble“ einer Frau. Im Klartext: Der 52-jährige berühmte Entertainer Masahiro Nakai hatte eine 23-jährige, namentlich ungenannte Nachrichtenmoderatorin sexuell attackiert und ihr so heftige „körperliche und seelische Schmerzen“ zugefügt, dass er außergerichtlich ein für japanische Verhältnisse extrem hohes Schmerzens- und Schweigegeld von 90 Mill. Yen (560.000 Euro) an sie zahlte.

Auslandsaktionär greift ein

Bisher kehrten männliche Stars trotz MeToo-Anschuldigungen von missbrauchten Frauen oft ins Entertainment-Geschäft zurück, wenn sie sich entschuldigen und vorübergehend zurückziehen. Doch das Vergehen von Nakai tauchte dieses Mal auf den Wirtschaftsseiten der Zeitungen auf: Der US-Fonds Dalton Investments, der 7% der Aktien der Muttergesellschaft von Fuji TV hält, verlangte nämlich von Fuji Media Holdings, einen unabhängigen Ausschuss einzurichten, der den Vorfall untersuchen soll. Darauf zogen sich von Toyota bis NTT rund 75 Werbepartner des Senders zurück. Fuji TV entgehen dadurch nach eigenen Angaben bis Ende März Einnahmen von 23,3 Mrd. Yen (147 Mill. Euro).

Plötzlich drehte sich die Diskussion um systemische Probleme der Governance bei Fuji TV und in Japans Medienbranche. Ein Boulevardmagazin hatte enthüllt, dass ein Mitarbeiter des Senders das verhängnisvolle Treffen zwischen Nakai und der Moderatorin arrangiert hatte. Inzwischen korrigierte das Magazin diese Behauptung. Aber es war offenbar gängige Praxis, dass Fuji TV junge weibliche Angestellte und prominente Show-Moderatoren für Partys zusammenführte. Durch die halboffizielle Einladung und das Machtgefälle waren sexuelle Übergriffe quasi vorprogrammiert. Der Sender wollte auf diese Weise seine männlichen Stars bei Laune halten.

Fuji Media repräsentiert die „alte Garde“ von Japans Unternehmenswelt. Bei einer 10-stündigen (!) Pressekonferenz traten Chairman Shuji Kano und TV-Chef Koichi Minato zurück. Aber heimlicher Machthaber bleibt der 87-jährige Hisashi Hieda, Senderchef von 1988 bis 2017 und seitdem „Berater“. Laut Nicholas Benes, Experte für Governance in Japan, sind die Mitglieder im riesigen 17-köpfigen Fuji-Verwaltungsrat im Schnitt 72 Jahre alt. Nur einer der sieben externen Direktoren erfülle die offiziellen Kriterien für Unabhängigkeit. Das Kurs-Buch-Verhältnis von 0,6 liegt 40% unter der Vorgabe der Börse.

Maximaler Schaden für Fuji TV

Die verknöcherte Führung versteht den Wandel von Corporate Governance und gesellschaftlichen Werten offenbar nicht, so dass sie Nakai trotz Kenntnis seines brutalen Übergriffs ungeniert weiter moderieren ließ. Man hatte wohl Angst, den Ex-Leiter von Japans berühmtester Popgruppe Smap als TV-Gastgeber zu verlieren. Inzwischen gab Nakai seinen Rücktritt bekannt und die Werbepartner warten vor einer Rückkehr das Ergebnis der externen Untersuchung ab.

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