Trumps „Große Lüge“ macht Schule
Wer gedacht hatte, dass das Thema „Stimmenklau“ fast 15 Monate nach der US-Präsidentschaftswahl endlich der Vergangenheit angehört, ist nun erneut eines Besseren belehrt worden. So musste nach dem Tod von Alcee Hastings im vergangenen April ein Nachfolger gefunden werden. Der Jurist und Politiker vertrat 28 Jahre lang den Bundesstaat Florida im Repräsentantenhaus, seit 2013 dessen 20. Wahlbezirk. Bei den republikanischen Vorwahlen im November konnte sich der 36-jährige Marketing-Manager Jason Mariner durchsetzen. Mariner ist ein rechtsgerichteter Republikaner, der die „Große Lüge“ unterstützt und die Aufständischen als Helden gelobt hat, die am 6. Januar letzten Jahres das Kapitol stürmten. Vorletzte Woche trat er bei der Stichwahl gegen die Demokratin Sheila Cherfilus-McCormick an.
Zwar konnte die linksliberale Cherfilus-McCormick ihrer Favoritenrolle in dem überwiegend demokratischen Bezirk im Süden Floridas problemlos gerecht werden. Als am späten Abend fast alle Stimmen ausgezählt waren, lag sie mit 78,7 zu 19,6%, also mit einem Vorsprung von 59,1 Prozentpunkten, vor ihrem republikanischen Gegner und wurde zur Siegerin erklärt. Vergangene Woche wurde sie dann als neuestes Mitglied der unteren Kongresskammer in Washington vereidigt. Das hinderte den haushohen Verlierer aber nicht daran, seinen Verschwörungstheorien nachzuhängen. Ganz im Stile seines großen Vorbildes Donald Trump will Mariner von einer Niederlage nämlich bis heute nichts wissen.
Der Ex-US-Präsident, der in der Endabrechnung 7,1 Millionen weniger Stimmen für sich verbucht hatte als der Demokrat Joe Biden, versucht weiter seinen glühenden Anhängern seine – wie es US-Medien nennen – „Große Lüge“ als Realität zu verkaufen. Demnach seien Millionen von Stimmen nicht legitim gewesen, folglich sei ihm die Wahl gestohlen worden. Dies scheint Schule zu machen.
Es fing damit an, dass der mehrfach vorbestrafte Kandidat bereits vor der Schließung der Wahllokale eine Klage einreichte. Angeblich hätten seine Wahlhelfer in den beiden Bezirken Palm Beach und Broward County, in denen vorwiegend registrierte Demokraten zuhause sind, „Unregelmäßigkeiten“ entdeckt, begründete Mariner den Schritt. Die „Unregelmäßigkeiten“ konnte aber er nie beweisen. Dann stellte sich noch heraus, dass der Kandidat gar keinen Wohnsitz im 20. Bezirk hatte und somit gar nicht hätte antreten dürfen. Davon unbeirrt weigert er sich aber nach wie vor, Cherfilus-McCormick als Parlamentsmitglied anzuerkennen. Auch wenn sie schon im Amt ist.
Zwar hatten nach der Präsidentschaftswahl führende Parteifreunde Trumps, darunter auch Senatoren und Abgeordnete, gesagt, dass „Republikaner nie wieder eine Wahl gewinnen werden“, wenn der Ex-Präsident die Niederlage eingesteht. Politisch unabhängige Experten schätzen die heutige Lage aber anders ein. Sie meinen, dass es die Republikaner sind, die womöglich nie wieder eine Wahlschlappe akzeptieren werden. Ein klares Beispiel dafür würden Mariner und mehrere Kommunalpolitiker liefern, die sich in den vergangenen Jahren weigerten, klare Niederlagen anzuerkennen.
Was kann also geschehen, wenn faire und objektive Ergebnisse nicht im Sinne der Republikaner ausfallen? Eine durchaus beunruhigende Antwort haben Trumps eigenen Berater gegeben, angeführt vom früheren New Yorker Bürgermeister Rudy Giuliani. Wie sich in den vergangenen Wochen herausstellte, haben Giuliani und ein Team von Anwälten vor der Zertifizierung des Ergebnisses der Präsidentschaftswahl versucht, „alternative Elektoren“ an den Kongress zu übermitteln.
In sieben Staaten gaben sich Trump-Anhänger tatsächlich als legitime Elektoren aus, die entsprechende Dokumente unterschrieben und diese ans Nationalarchiv in Washington schickten. Der Plan sah vor, dass der damalige Vizepräsident Mike Pence bei der formalen Auszählung die fiktiven Wahlmänner anstelle der fair und frei gewählten Elektoren nehmen würde. Pence weigerte sich bekanntlich, Teil des Komplotts zu sein, und besiegelte Bidens Wahlsieg. Giuliani und dessen Komplizen drohen nun mehrere Anklagen, wegen Fälschung sowie des Versuchs, ein Wahlergebnis zu manipulieren.