Überfällige Reaktion
Deutsche Börse
Überfällige Reaktion
Von Detlef Fechtner
Zu den größten Tiefschlägen, die der Finanzplatz Frankfurt in den zurückliegenden Jahren einstecken musste, zählt ganz sicher der Abschied des Gaseherstellers Linde vom Kurszettel der Deutschen Börse. "Das ist bitter, das tut weh", hat Börsen-Chef Theodor Weimer einmal im Rückblick darauf gesagt, dass es dem Marktbetreiber seinerzeit nicht gelungen ist, den damals 150 Mrd. Euro schweren Wert in Frankfurt zu halten.
Erstaunlicherweise hat es nun allerdings doch lange Zeit gebraucht, bis die Börse auf einen der zentralen Gründe für das Delisting reagiert hat, nämlich die Kappungsgrenze im Dax. Mit der Deckelung der Gewichtung marktschwerer Werte im Index auf höchstens 10% werden Investoren, die sich am Index orientieren, indirekt gezwungen, die Titel wachstumsstarker Schwergewichte immer wieder zu verkaufen, da deren Indexgewicht bei Überschreitung der 10-%-Schwelle anschließend zurückgeschnitten wird – und die Indextracker entsprechend folgen müssen. In den vergangenen zehn Jahren ist das im Falle von vier Konzernen sage und schreibe insgesamt 38-mal der Fall gewesen. Verständlich, dass diese Index-Vorgabe das Linde-Management zur Weißglut gebracht hat und eine Ursache dafür war, warum sich das Unternehmen vom Handelsplatz Frankfurt abgewandt hat. Und sie könnte auch SAP ins Grübeln bringen – oder mittelfristig Allianz, Siemens oder die Telekom.
Bei der letzten Befragung von Marktteilnehmern im Frühjahr 2022 behielten diejenigen die Oberhand, die sich für einen Beibehalt der international recht niedrigen Kappungsgrenze ausgesprochen haben – darunter etwa Fonds, die durch regulatorische Vorgaben für Privatanlegerprodukte ohnehin zu einer breiten Streuung aufgefordert sind. Spätestens der Abschied von Linde hat indes am Finanzplatz die Debatte befeuert, ob die Börse nur aus Rücksichtnahme auf diese Interessen riskieren soll, noch weitere Weltkonzerne zu verlieren und damit an Bedeutung einzubüßen.
Nun reagiert die Börse mit einer erneuten Konsultation auf die Abkehr von Linde und die Debatte, die sich daran angeschlossen hat. Auf dem Tisch liegt abermals der Vorschlag, die Kappungsgrenze auf 15% anzuheben. Das mag nach einer kosmetischen Änderung klingen, hätte aber zur Folge, dass auf absehbare Zeit wahrscheinlich kein börsennotierter Konzern mehr an die Schwelle stößt. Zumindest zeigen Modellrechnungen, dass es in den vergangenen zehn Jahren dazu nicht gekommen wäre. Der Neuanlauf der Börse durch eine abermalige Konsultation ist richtig. Aber er ist auch überfällig.