Und Volker Wissing hört Tocotronic
Notiert in Berlin
Und Volker Wissing hört Tocotronic
Von Andreas Heitker
Jede Zeit hat ihre Musik. Dies gilt insbesondere für intensive Phasen wie die Wochen des Wahlkampfes, die dem Land nun bevorstehen. Niemand gewinnt eine Wahl, nur weil er oder sie eine breite popkulturelle Unterstützung erfährt, siehe USA. Aber Musik kann begeistern, kann Identität und Zugehörigkeit schaffen, Emotionen schüren und verstärken. Kein Wahlkampfmanager, der in der heutigen Zeit on- oder offline darauf verzichten wollte.
Und natürlich kann Musik auch in der Politik helfen, gescheiterte Beziehungen zu verarbeiten. Bei den Liberalen etwa, die die alten Clash-Scheiben („Should I stay or should I go“) längst in die Ecke geworfen haben, ist für diese Aufarbeitung Marco Buschmann verantwortlich. Unter seinem Künstlernamen „MB Sounds“ hat der Jurist bereits im November auf Soundcloud das Lied „Gehen, um zu stehen“ veröffentlicht. Die verbliebenen Ampel-Fans rund um Verkehrsminister Volker Wissing, die sich das nicht antun wollen, haben wahrscheinlich die Tocotronic-Frühwerke aus ihren CD-Regalen wieder hervorgeholt und lassen nun „Die Idee war gut, doch die Welt noch nicht bereit“ in Dauerschleife laufen.
Ein feines Händchen bei der Auswahl ihres Wahlkampf-Soundtracks kann man den Parteien allerdings längst nicht immer nachsagen. Dies liegt auch daran, dass die Künstler gegen die politische Instrumentalisierung ihrer Hits immer wieder juristisch vorgehen. Grundsätzlich gilt zwar, dass auch Parteien bei Zahlung von Gema-Gebühren Musik öffentlich abspielen dürfen. Es dürfen nur keine Persönlichkeitsrechte verletzt werden – was im politischen Kontext oft schwierig ist. Die 80er-Jahre-Band Alphaville geht deshalb aktuell gegen die AfD vor, die ihr Lied „Forever Young“ für den Wahlkampf nutzt. Herbert Grönemeyer hat bereits sowohl der CDU als auch den Grünen untersagt, das Lied „Zeit, dass sich was dreht“ zu verwenden.
Viele solcher Beispiele gab es auch schon im Vorfeld früherer Bundestagswahlen. Schlagerstar Helene Fischer setzte vor Gericht durch, dass die rechtsextreme NPD ihren Hit „Atemlos“ nicht mehr spielen durfte. 2005 waren die Rolling Stones angeblich nicht amüsiert, dass „Angie“ zur Angela-Merkel-Hymne mutiert war. 2013 hatten die Christdemokraten Ärger mit den Toten Hosen, die dann aber auch nicht die legendäre Version von „Tage wie diese“, am Wahlabend siegestrunken gesungen vom damaligen CDU-Fraktionschef Volker Kauder, verhindern konnten.
Bei der Bundestagswahl 2021 waren auch noch andere Medien auf die Kombination „Pop & Politik“ angesprungen. Das Musikmagazin „Rolling Stone“ hatte etwa die Spitzenkandidaten zu ihren ersten Platten, den letzten Konzerten und den besten Wahlkampf-Songtexten befragt. Der Streamingdienst Deezer hatte zum zweiten Mal einen „Musik-O-Mat“ aufgelegt, mit Playlists der Parteien, die ihre jeweiligen musikalischen Lebensgefühle vermitteln sollten. Wie viele Wähler dies als Grundlage für ihre Wahlentscheidung genommen haben, ist nicht bekannt.
So ein richtiger musikalischer Kracher hat sich für den Wahlkampf 2025 noch nicht herauskristallisiert. Darum bleibt auch Zeit, noch einmal ins Archiv und einmal zu den europäischen Nachbarn zu schauen, wie sie ihre Abgeordneten und ihr Parlament so besingen. Die Zeit bis Februar könnte etwa der zu Unrecht fast schon vergessene finnische Künstler M.A. Numminen überbrücken mit seinem Tango-Stück „Naiseni kanssa eduskuntatalon puistossa“, von dem es auch eine wunderbare deutsche Version gibt: „Mit meiner Braut im Parlamentspark“. In dem etwas skurrilen Text geht es im Wesentlichen um Beobachtungen, auf welchen Seiten des Weges rechte und linke Volksvertreter gehen, die dann jeweils mit Rot- oder Weißwein begossen werden. Im finnischen Radio war der Song sechs Jahre verboten, da er angeblich das Parlament verunglimpft und zum Alkoholmissbrauch aufruft. Aber das ist schon 40 Jahre her. Wie gesagt: Jede Zeit hat ihre Musik – und einen entsprechenden Umgang mit ihr.
M.A. Numminen: „Mit meiner Braut im Parlamentspark“