Ungebrochene Solidarität
Einmal mehr haben die europäischen Staats- und Regierungschefs am Donnerstag in Brüssel über die Lage in der Ukraine beraten. Laut Entwurf der Gipfelerklärung sollte dabei knapp zehn Monate nach Kriegsausbruch noch einmal „die uneingeschränkte Unterstützung der Union für die Unabhängigkeit, Souveränität und territoriale Integrität der Ukraine innerhalb ihrer international anerkannten Grenzen“ bekräftigt werden ebenso wie das Recht der Ukraine auf Selbstverteidigung gegen die russische Aggression. Präsident Wolodymyr Selenskyj wurde zugleich versichert, dass die EU nach wie vor entschlossen sei, seinem Land „politische und militärische Unterstützung zu gewähren“.
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Die Gipfelerklärung dürfte den Regierungschefs nicht allzu schwer gefallen sein, auch da sie sich der ungebrochenen Solidarität der EU-Bürger mit der Ukraine sicher sein konnten. In einer kurz vor dem Brüsseler Gipfel veröffentlichten neuen Eurobarometer-Umfrage, an der im Oktober und November mehr als 26400 Menschen in der gesamten EU teilnahmen, befürworteten immerhin 74% der Befragten die Unterstützung der EU für die Ukraine nach dem Einmarsch Russlands im Februar. 58% der Befragten waren sogar mit dem Level der Kooperation zwischen den EU-Staaten in Sachen Ukraine zufrieden. In allen Mitgliedstaaten gab es dabei eine Mehrheit für die EU-Sanktionen gegen Russland sowie die finanzielle, militärische und humanitäre Hilfe für Kiew. In den skandinavischen Ländern lag diese sogar bei bis zu 97% (Schweden). Selbst die Portugiesen, für die der Krieg ja deutlich weiter entfernt ist als für viele andere EU-Länder, befürworteten den Brüsseler Kurs in diesem Fall mit 92%. In Deutschland lag die Zustimmung mit 73% in etwa im EU-Durchschnitt.
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EU-Parlamentspräsidentin Roberta Metsola verwies im Rahmen der neuen Umfrage noch einmal auf das entsetzliche Leid und die massive Zerstörung, die die russischen Angriffe verursachten. Die beste Antwort und die beste Unterstützung, die die Europäische Union jetzt geben könne, seien europäische Solidarität und europäische Geschlossenheit, betonte sie. Trotzdem sind die nach wie vor sehr hohen Zustimmungswerte auch überraschend, wird doch öffentlich immer mehr auch über die Wirksamkeit der Sanktionen debattiert und sind doch die Folgen des Krieges überall in Europa nicht nur in den exorbitant hohen Strom- und Gaspreisen zu spüren – und dies von Monat zu Monat deutlicher. Laut der neuen Eurobarometer-Umfrage glauben mittlerweile knapp zwei Drittel der EU-Bevölkerung (65%), dass sich ihr Leben wegen des Krieges und seiner Folgen ändern wird – das sind 4 Prozentpunkte mehr als noch bei der letzten Umfrage im April/Mai. Die Zeitenwende ist mittlerweile wohl überall in Europa angekommen.
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Und noch einen durchaus interessanten Punkt zeigt das neue Eurobarometer: Offenbar hat die russische Aggression in einigen Ländern auch das Bild der EU ganz allgemein verbessert. In der Umfrage sagen 72% der Menschen, ihr Land habe von seiner EU-Mitgliedschaft profitiert. Dieser Wert hat sich gegenüber dem Vorjahr gar nicht so groß verändert. Aber in Ländern wie Schweden, Finnland oder Malta legte die positive Bewertung um 4% bis 6% zu. Und eine weitere Erkenntnis: Der „Beitrag der EU zur Erhaltung des Friedens und zur Stärkung der Sicherheit“ wird mittlerweile von 36% der Befragten als Hauptgrund genannt, warum ihr Land von der EU-Mitgliedschaft profitiert hat. Dies sind 6 Prozentpunkte mehr als noch vor einem Jahr, als die Möglichkeit eines Krieges in Europa für die meisten Menschen kaum vorstellbar war. Das „Friedensprojekt EU“ erhält mittlerweile wieder signifikant stärkere Aufmerksamkeit, insbesondere in den drei baltischen (Ex-Sowjet-)Staaten, in Polen, den Niederlanden und Malta. Und dessen dürften sich auch die EU-Staats- und Regierungschefs bewusst sein.