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US-Banken müssen China-Geschäft neu bewerten

Die CEOs an der Wall Street halten sich bezüglich der China-Perspektiven ihrer Häuser bedeckt, während die Spannungen zwischen Washington und Peking zunehmen. Im Hongkonger Kapitalmarktgeschäft fällt die Lage für die US-Häuser allerdings längst düster aus.

US-Banken müssen China-Geschäft neu bewerten

Im Blickfeld

Sonnenuntergang für US-Banken in Hongkong

Die CEOs an der Wall Street halten sich bezüglich der China-Perspektiven ihrer Häuser bedeckt, während die Spannungen zwischen Washington und Peking zunehmen. Im Hongkonger Kapitalmarktgeschäft fällt die Lage für die US-Häuser allerdings längst düster aus.

Von Alex Wehnert, New York

Die CEOs amerikanischer Großbanken reden gern und viel – zu einem entscheidenden Thema halten sie sich dieser Tage aber auffällig bedeckt: den Verbindungen ihrer Häuser zu Festlandchina. Jahrelang war die Volksrepublik für sie ein wichtiger Wachstumsmarkt, doch angesichts der zunehmend stärkeren politischen Spannungen zwischen Washington und Peking sowie der wackligen ökonomischen Wiederöffnung nach den Corona-Lockdowns stehen US-Finanzinstitute vor einer grundlegenden Neubewertung ihrer Perspektiven im Reich der Mitte.

Heikle Themen umschifft

Beim Global Financial Leaders Summit in Hongkong war Anfang November wenig von solchen einschneidenden Herausforderungen zu hören. Neben hochrangigen Managern von Private-Equity-Gesellschaften traten auch Citigroup-Chefin Jane Fraser, James Gorman, noch bis Januar an der Spitze von Morgan Stanley, und Goldman-Sachs-CEO David Solomon bei der Veranstaltung des Hongkonger Währungsamts auf. Der Gipfel stand unter dem Titel "Mit Komplexität leben" – für die Wall-Street-Manager bestand die Komplexität aber vor allem darin, heikle Themen möglichst elegant zu umschiffen.

Und so nahm Fraser an einem auf Technologie fokussierten Panel teil, Gorman diskutierte mit UBS-Verwaltungsratschef Colm Kelleher recht allgemein über Finanzstabilität und Solomon ereiferte sich einmal mehr über die bevorstehende Verschärfung der Kapitalvorgaben für US-Banken, die seiner Ansicht nach "viel zu weit" gehe. In Bezug auf Äußerungen zu China galt es für die CEOs indes, nicht den Unmut von Politikern und Regulatoren in den Vereinigten Staaten auf sich zu ziehen.

Die USA haben Hongkongs Regierungschef John Lee mit Sanktionen belegt. Foto: Vernon Yuen/NurPhoto.

Bereits im Vorfeld hatte es in US-Medien schließlich Kritik daran gehagelt, dass die Manager überhaupt an der Konferenz teilnahmen. Denn der Hongkonger Regierungschef John Lee ist Ziel von Sanktionen der US-Treasury – wegen seiner "Beteiligung an der Nötigung, Festnahme und Inhaftierung von Individuen" im Rahmen eines "drakonischen" Sicherheitsgesetzes, das Peking der Sonderverwaltungszone nach prodemokratischen Protesten aus dem Jahr 2019 aufoktroyierte. Amerikanische Finanzinstitute würden daher bestraft, wenn sie Geschäftsbeziehungen zu Lee aufrechterhielten.

Zugleich müssen die Wall-Street-CEOs aber auf der Hut sein, die Aussichten in der Volksrepublik nicht zu schwarzzumalen. Schließlich sollte der Global Financial Leaders Summit dazu dienen, das Vertrauen in Hongkong als globalen Finanzplatz und Tor zum Wachstumsmarkt Festlandchina zu stärken, nachdem neben Handelskonflikten auch eine weitreichende Regulierungskampagne Pekings im Technologie- und privaten Bildungssektor sowie die Immobilienkrise in der Volksrepublik in den vergangenen Jahren für Unsicherheit sorgten. Das Hongkonger Währungsamt mit seinem über 500 Mrd. Dollar schweren Reservefonds ist für die Investmentbanken trotz all dieser Risikofaktoren noch ein wichtiger Kunde.

Gewachsene Risiken

J.P.-Morgan-CEO Jamie Dimon, der statt nach Hongkong zu einer internationalen Konferenz seines Hauses nach Paris reiste, bezeichnete das Risiko-Rendite-Profil von China-Geschäften allerdings bereits im September als "nur noch okay". Sei das Verhältnis zuvor "sehr gut" gewesen, fielen die Risiko-Kennzahlen inzwischen "schlecht" aus. In Bezug auf das Kapitalmarktgeschäft im einstigen asiatischen Investment-Banking-Hub Hongkong bedeutet das fast schon eine Untertreibung.

Wie ihre europäischen Kollegen profitierten die Dealmaker der amerikanischen Institute über das abgelaufene Jahrzehnt von Aktien- und Bondtransaktionen Hunderter chinesischer Unternehmen außerhalb der Volksrepublik. Allein das 25 Mrd. Dollar schwere IPO des E-Commerce-Riesen Alibaba in New York generierte 2014 insgesamt rund 300 Mill. Dollar an Beratungsgebühren, die Zweitlistings von Chinas Tech-Größen in Hongkong ab 2019 waren für westliche Banken ebenfalls äußerst lukrativ. Und auch das Advisory zu grenzüberschreitenden Akquisitionen brachte fette Gebühren – doch die Sonne für ausländische Investmentbanken geht in der Sonderverwaltungszone längst unter.

Bereits 2022 spielten globale Berater durch Offshore-Kapitalmarktdeals chinesischer Unternehmen in anderen Währungen als dem Yuan lediglich 1,21 Mrd. Dollar ein. Gegenüber 2020 und 2021 bedeutete dies einen Rückgang um mehr als bzw. fast zwei Drittel. Im laufenden Jahr summieren sich die Gebühreneinnahmen bis zum 6. November laut Dealogic aber nur noch auf 539 Mill. Dollar. Damit steuern die Investmentbanken auf ihr schlechtestes Jahr für chinesische Offshore-Deals seit mindestens einer Dekade zu.

Die schwache Aktienperformance – der Hongkonger Leitindex Hang Seng hat seit Ende 2020 über 35% an Wert verloren – lastet auf der allgemeinen Investorenstimmung. Hohe Zinsniveaus in den USA lassen ausländische Anleger vor Risiko-Investments wie chinesischen Dividendentiteln zurückschrecken und drücken den Enthusiasmus im Primärmarkt.

Ebbe am Hochzinsmarkt

Auf der Anleiheseite zeigt die Immobilienkrise in der Volksrepublik, in deren Verlauf mehrere große Entwickler Defaults hingelegt haben, deutliche Wirkung. Das Volumen der Dollar-Bond-Emissionen chinesischer Unternehmen, das sich in den Vorjahren regelmäßig auf mehr als 150 und häufig sogar auf über 200 Mrd. Dollar summierte, brach 2022 auf 77 Mrd. Dollar ein. Im laufenden Jahr sind es laut Dealogic bisher nur 36 Mrd. Dollar. Der Hochzinsbereich liegt dabei nahezu vollständig brach.

Angesichts umfassender Exportkontrollen Washingtons im Halbleitersektor sehen Analysten wenig Anlass für China-Optimismus. Hochleistungsfähige Chips bildeten schließlich die Grundlage für den globalen Boom um künstliche Intelligenz. Geschäfte mit chinesischen KI-Firmen, die auf schwarzen Listen des US-Handelsministeriums stehen, sind für Amerikas Banken allerdings ausgeschlossen.

Mandate abgegeben

So zog sich Goldman Sachs im April von der Rolle als Koordinator des Börsengangs des Software-Anbieters Beijing Fourth Paradigm zurück, der seine Aktien im September in Hongkong listete. Auch anderswo macht die Komplexität das Underwriting und Advisory unattraktiv: Bank of America gab ihr Mandat für den angepeilten Börsengang von Growatt Technologies, einem Hersteller von Wechselrichtern für Solarpanels, ab.

Anstelle der US-Großbanken dringen nun ihre chinesischen Pendants darauf, Marktanteile im Aktien- und Bond-Underwriting auszubauen. Auch an den noch stattfindenden Transaktionen unter amerikanischer Beteiligung arbeiten häufig mehr Finanzinstitute mit als früher – für die Wall-Street-Größen fällt also ein kleinerer Anteil am ohnehin geschrumpften Gebührenkuchen ab.

Auffangen wollen sie dies über eine verstärkte Aktivität in anderen Teilen des Kontinents. Durch Listings in Südostasien haben Firmen im laufenden Jahr bisher mehr eingespielt als durch Börsengänge in Hongkong. Doch in der Region sind im Schnitt deutlich geringere Investment-Banking-Gebühren zu holen als im breiten chinesischen Markt, in dem die Provisionen in der Regel ohnehin schon niedriger ausfallen als bei US-Deals. Für Amerikas führende Finanzinstitute dürfte der Sonnenuntergang in Hongkong laut Analysten also noch tiefgreifende Einschnitte mit sich bringen. Und es machen zunehmend Zweifel daran die Runde, dass die CEOs ihren Aktionären mit der Leisetreter-Kommunikation zu China die Zukunftssorgen nehmen können.

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