Tokio

Verehrter Kaiser, verführte Mädchen

Der Ukraine-Krieg hat die große Hilfsbereitschaft der Japaner offenbart. Weniger offen zeigten sie sich in der vergangenen Woche allerdings, was Geschichte und Sexismus angeht.

Verehrter Kaiser, verführte Mädchen

Das starke Mitgefühl vieler Japaner mit den Menschen in der Ukraine zeigt sich in diesen Tagen auf vielfältige Weise: Zum Beispiel erhielt die Botschaft der Ukraine in Tokio binnen weniger Wochen umgerechnet über 36 Mill. Euro an privaten Geldspenden. Japanische Bürger schickten auch große Mengen an Sachspenden wie Windeln, Milchpulver, Dosennahrung und Tierfutter. Manche Restaurants verkaufen spezielle Gerichte und Getränke zugunsten der Ukraine. Die Regierung selbst hat über 700 ukrainische Flüchtlinge aufgenommen und schickt Hilfs- und Schutzgüter für fast 277 Mill. Euro.

Die enorme Hilfsbereitschaft könnte erklären, warum die Regierung in Kiew sich Anfang der Woche sehr schnell dafür entschuldigte, den japanischen Kriegskaiser Hirohito als Faschisten bezeichnet zu haben. Unter der Schlagzeile „Sieg über den Faschismus 1945“ hatte ein offizielles Video für soziale Medien die Fotos von Hirohito, Adolf Hitler und Benito Mussolini nebeneinander montiert, um den Begriff des „Rushismus“ als Kreuzung aus Russland und Faschismus einzuführen.

Diese Darstellung des Kaisers sei bedauerlich und völlig unangemessen, kritisierte der japanische Vize-Kabinettssekretär Yoshihiko Isozaki. Daher habe man protestiert und die Entfernung des Fotos verlangt. Darauf veröffentlichte die Ukraine eine überarbeitete Version des Videos ohne Kaiser. „Wir bitten Japan aufrichtig um Verzeihung für diesen Fehler“, twitterte die Regierungsstelle in Kiew. Man habe das japanische Volk nicht beleidigen wollen. Da habe offenbar jemand in Geschichte nicht richtig aufgepasst, assistierte der ukrainische Botschafter in Tokio, Sergiy Korsunsky.

Die heftige japanische Reaktion hängt mit dem Tabu zusammen, den Kaiser zu kritisieren. Aber die Regierung in Tokio strengt sich – unterstützt von lautstarken Rechten – auch schon lange an, die eigene Kriegsgeschichte kleinzureden. Die historischen Fakten sprechen jedoch eine andere Sprache: Japan gehörte im Zweiten Weltkrieg neben Italien und Deutschland zu den drei Achsenmächten. Hirohito, Hitler und Mussolini sind auf historischen Fotos gemeinsam zu sehen. Aber diese Diskussion wollte die Ukraine wohl nicht führen.

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Womit wir bei einem ähnlichen Vorfall dieser Art wären, der die japanische Öffentlichkeit ebenfalls erregte. Ein Top-Manager der Fast-Food-Kette Yoshinoya hatte im Rahmen eines Seminars über Marketing an der Spitzenuniversität Waseda seine Strategie offenbart, wie sich der Absatz trotz alternder und schrumpfender Bevölkerung steigern lasse. „Wir müssen die jungen Frauen, die gerade vom Land kommen und noch nicht wissen, was sie tun sollen, süchtig machen nach Gyudon, solange sie noch Jungfrauen sind“, verriet Masaaki Ito bei dem Seminar. Gyudon, eine Schale Reis mit gebratenem Rindfleisch als Topping, ist das Hauptgericht der Restaurantkette Yoshinoya.

Die scharfen Reaktionen entzündeten sich zum einen an dem latenten Sexismus. Es klang fast so, als hätte Ito den Frauen vom Lande unterstellt, sie kämen in die Großstadt, um ihre Jungfräulichkeit zu verlieren. Der Manager hatte seine Strategie nämlich so erklärt: „Junge Frauen hören auf, (billiges) Gyudon zu essen, sobald sie Männer dazu gebracht haben, ihnen teure Mahlzeiten zu bezahlen.“ Was für ein machohaftes Frauenbild. Zum anderen störten sich viele Japaner an dem Vergleich von Gyudon mit süchtig machenden Drogen, deren Konsum in Japan strikt verboten ist.

In der Sache hatte der Marketing-Experte zwar völlig recht: Die Reisschale mit Rindfleisch für umgerechnet 4 Euro ist das typische Billig-Essen für den männlichen Firmenangestellten in der Mittagspause oder auf dem nächtlichen Nachhauseweg. Daher bilden junge Frauen, die in die Großstadt ziehen, ein lukratives und dazu großes Reservoir an Neukunden.

Aber die 123 Jahre alte Restaurant-Gruppe fürchtete, ihren Ruf zu verlieren. Also feuerte sie den Manager fristlos. Aber die Werbekampagne, die auf seiner überspitzt formulierten Idee basiert, wird fortgesetzt: Mit einem niedlichen Spruch und speziellen Gerichten spricht die Kampagne gezielt den Geschmack junger Frauen an.