Staatsfinanzen

Von leeren Büchsen, schwarzen Nullen und jeder Menge Wumms

In mancher Hinsicht erinnert die gegenwärtige Situation der Staatsfinanzen in Deutschland und Europa an die Öffnung von Pandoras Büchse. In der Geschichte hat es niemals einen vergleichbaren Anstieg der Staatsverschuldung gegeben.

Von leeren Büchsen, schwarzen Nullen und jeder Menge Wumms

Die Gestalt der Pandora ist eine der schönsten und am meisten zitierten Figuren der griechischen Mythologie. Der Göttervater Zeus übergab der Pandora eine Büchse, in der alle bis dahin bekannten Übel der Menschheit enthalten waren. Pandora sollte diese Büchse den Menschen übergeben mit der Anweisung, sie auf keinen Fall zu öffnen. Doch sie widersetzte sich den Befehlen des Zeus und öffnete die Schatulle, so dass das Böse und Schlechte in die Welt entweichen konnte. Was nur die Wenigsten wissen: In der Büchse war auch die Hoffnung enthalten, die aber nicht entweichen konnte. Vielleicht wäre die Welt der alten Griechen ja eine andere gewesen, wenn es wenigstens die Hoffnung auf bessere Zeiten gegeben hätte.

In mancher Hinsicht erinnert die gegenwärtige Situation der Staatsfinanzen in Deutschland und Europa an die Öffnung von Pandoras Büchse. In der Geschichte hat es niemals einen vergleichbaren Anstieg der Staatsverschuldung gegeben: Der designierte neue Kanzler Olaf Scholz versprach als Finanzminister ein „Heraus aus Corona mit einem Wumms“ – was zum damaligen Zeitpunkt sicherlich richtig und angemessen war. Doch so langsam wäre es an der Zeit, auch wieder ein Zurück zu halbwegs kontrollierten Staatsfinanzen auszurufen. Um im Bilde zu bleiben: Der Wumms müsste längst zurück in die Büchse. Allerdings besteht die Befürchtung, dass in der neuen Bundesregierung eine Rückkehr zur schwarzen Null kaum noch Befürworter finden wird.

Zugleich hat die EU das größte Hilfspaket in ihrer Geschichte aufgelegt, erstmals europäische Anleihen begeben und damit die nächste Büchse geöffnet. Der Finanzrahmen der EU 2021-27 beträgt 1074 Mrd. Euro, der Sonderfonds „Next Generation EU“ zusätzliche 750 Mrd. Euro, in Summe also gut 1,8 Bill. Euro. Von den 750 Mrd. Euro Coronahilfen sind 390 Mrd. Soforthilfe, die nicht zurückgezahlt werden müssen. 360 Mrd. Euro wurden in Form günstiger Kredite vergeben, deren Rückzahlung bis 2058 erfolgen soll. Zeitweilig wurden die EU-Eigenmittel von 1,4% auf 2,0% des BIP erhöht, wobei realistisch davon auszugehen ist, dass diese Erhöhung nicht wie angekündigt nur temporär sein wird, sondern zu einer Dauerlösung werden dürfte. Der Stabilitätspakt wurde für 2021 ebenfalls ausgesetzt. Stabilitätspolitisch stehen die Zeichen in Europa auf Sturm.

Auch die EZB war von Beginn der Corona-Pandemie an fest in die Krisenbekämpfung mit integriert. Über PEPP (Pandemic Emergency Purchase Program) und APP (Asset Purchase Program) wurde und wird immer mehr Liquidität in den Markt gepumpt. Zwar sind die gegenwärtigen höheren Inflationsraten mehr auf die explodierenden Energiepreise zurückzuführen, und auch die deutsche Politik hat mit der Einführung der CO2-Bepreisung sowie der Rücknahme der temporären Senkung der Mehrwertsteuer zur Preiserhöhung mit beigetragen. Dennoch muss die EZB darüber nachdenken, wie sie in mittlerer Frist wieder von der Politik des leichten Geldes abkehren könnte: Die Abschiedsworte des scheidenden Bundesbankpräsidenten Jens Weidmann sollten hier zur Kenntnis genommen werden.

Beängstigend ist jedoch die aktuelle politische Debatte, dass dem Corona-Wumms jetzt ein Klima-Wumms und ein Digitalisierungs-Wumms folgen sollen, selbstverständlich finanziert über zusätzliche Schulden oder eine Vermögensabgabe, gerne auch über zusätzliche europäische Anleihen. Auch vor dem Stabilitätsauftrag der EZB stoppt die Debatte nicht. Die Euro-Währungshüter mögen sich doch bitte aktiv an der Bekämpfung der Erderwärmung beteiligen – natürlich mit weiterem billigen Geld.

Bei all diesen Debatten, die schon vor der Wahl begannen, die aber jetzt mit den Koalitionsverhandlungen der neuen Ampel-Regierung weiter an Fahrt gewinnen, wird übersehen, dass Deutschland vor Ausbruch der Pandemie wirtschaftlich extrem gut dastand. Vollbeschäftigung, Geldwertstabilität und ein ausgeglichener Staatshaushalt mit sprudelnden Steuereinnahmen waren eine starke Ausgangsposition, um im internationalen Vergleich relativ gut durch die Pandemie zu kommen. Die nationale Kraftanstrengung, um die Wirtschaft, den Mittelstand, aber auch die Kultur und den Sport durch die Pandemie zu tragen, wären ohne die solide Finanzpolitik von Schäuble und auch von Scholz nicht möglich gewesen. Warum die Idee eines halbwegs ausgeglichenen Staatshaushalts und solider Finanzen nicht gerade bei der jüngeren Generation mehr Befürworter findet, ist schwer zu verstehen.

Stabilitätskultur unter Druck

Deutschlands Stabilitätskultur steht auch in Europa unter Druck. Nur die sogenannten „sparsamen fünf“, also Österreich, Finnland, Schweden, Dänemark und die Niederlande, stehen weiteren Ausgabenprogrammen zurückhaltend gegenüber. Im beginnenden Präsidentschaftswahlkampf in Frankreich hingegen werden schon jetzt weitere europäische Schulden gefordert, und die Corona-Bonds werden doch zu den Euro-Bonds, die zumindest in Deutschland niemand wollte. Und Italien unter der Führung von Mario Draghi stellt Forderungen nach weiteren Programmen, mit denen die marode In­frastruktur des Landes modernisiert werden soll. Die schwarze Null wird in Süd- und Osteuropa eher als eine deutsche Marotte denn als ein erstrebenswertes Ziel für die staatliche Wirtschaftspolitik angesehen.

Vielleicht könnte die Pandora noch einmal ihre Büchse öffnen und die noch in ihr verbliebene Hoffnung freilassen. Doch worauf könnte diese beruhen? Vielleicht in der Rückbesinnung auf das Eucken’sche Primat der Währungspolitik. In einer Demokratie können die Ziele der Wirtschaftspolitik frei gewählt werden und auch neue Ziele können verfolgt werden – etwa der Klimaschutz. Aber kein Ziel kann erreicht werden, wenn die Staatsfinanzen aus dem Ruder laufen. In der Verbreitung dieser Erkenntnis liegt die Hoffnung.

Prof. Dr. Dirk Wentzel lehrt Volkswirtschaftslehre und Europäische Wirtschaftsbeziehungen an der Hochschule Pforzheim.

In dieser Rubrik veröffentlichen wir Kommentare von führenden Vertretern aus der Wirtschafts- und Finanzwelt, aus Politik und Wissenschaft.

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