Notiert in Frankfurt

Wahlfang auf Europäisch

DIe Qual der Wahl: "Effizienz statt Bürokratie" oder "Vernunft statt Ideologie" – viele der aktuellen Wahlslogans helfen dem Wähler nicht gerade zu verstehen, worauf es den Parteien ankommt. Zumal, wenn er nicht einmal deren Namen kennt.

Wahlfang auf Europäisch

Notiert in Frankfurt

Wahlfang auf Europäisch

Von Detlef Fechtner

83 Zentimeter lang ist der Wahlzettel zur Europawahl. Der Wähler hat die Auswahl zwischen 34 Parteien, darunter auch Vereinigungen, die er wahrscheinlich nicht kennt, wie „Mera 25“ oder „Menschliche Welt“. Und wohl auch einige, die er kaum unterscheiden kann – wie die „Aktion Partei für Tierschutz“ und die „Partei Mensch Umwelt Tierschutz“. Da mag sich mancher an Monty Python erinnert fühlen, wo die „Judäische Volksfront“ mit der „Volksfront von Judäa“ konkurriert.

Wenig Orientierung

Leider liefern die Wahlplakate der Parteien wenig Orientierung. So hilft die Wahlparole des „Bündnis Deutschland“ (übrigens bitte nicht verwechseln mit „Bündnis Christen für Deutschland“) kaum weiter, um zu verstehen, worum es der Partei geht. Denn unter dem Slogan „Vernunft statt Ideologie“ würden sich gewiss alle 34 politischen Wettbewerber wiederfinden. Ohnehin sind in diesem Wahlkampf Losungen mit „statt“ oder „oder“ en vogue. „Effizienz statt Bürokratie“ (Freie Wähler). „Gier oder Gerechtigkeit?“ (Bündnis Sahra Wagenknecht). „Echter Sozialismus statt globaler Umweltkatastrophe“ (Marxistisch-leninistische Partei Deutschlands). Wie soll man da widersprechen, will man sich nicht dem Vorwurf aussetzen, einem überbürokratisierten, von gierigen Lobbyisten gesteuerten, ökologisch ruinierten Europa das Wort zu reden?

Auf das Prinzip „um die Ecke denken“ setzt im aktuellen Wahlkampf die Partei „Volt“. Ihre Kampagnen „Für mehr Eis“ oder auch „Sei kein Arschloch“ lassen freilich Spielraum für Interpretation. Apropos Interpretation: Natürlich sind auch dieses Mal wieder die Satiriker von „Der Partei“ am Start, in Ostdeutschland beispielsweise mit „Chemnitz, Du hast Rechte“.

Unmissverständliche Ansage

Na klar, es gibt andererseits absolut unmissverständliche Ansagen. Das Motto „Heilen, genießen, Hanf“ etwa lässt wenig Zweifel daran, dass die Piraten der Freigabe von Cannabis aufgeschlossen gegenüberstehen. Und die Parole: „Raus aus dem Wahnsinn: Säxit!“ signalisiert drastisch, dass die Freien Wähler in Sachsen grundsätzliche Vorbehalte gegen die Europäischen Union haben. Aber wie schon angedeutet: Derlei klare Botschaften sind auf den Wahlplakaten, die in Deutschlands Innenstädten hängen, ausgesprochen rar. Auch wenn man darüber, zumindest mit Blick auf das letztzitierte Beispiel, nicht traurig sein sollte.

Bemerkenswert ist schließlich der Wahlkampf, den die FDP und insbesondere deren Spitzenkandidatin Marie-Agnes Strack-Zimmermann führt. Denn sie bricht gleich mit zwei Tabus, die bisher für Kampagnen hierzulande galten. Erstens zeigt sie ihr Konterfei nicht freundlich-lächelnd, sondern streng und verdrießlich dreinblickend, um dem Slogan „Ich werde nerven, bis sich was ändert“ Nachdruck zu verleihen. Und zweitens zielt einer ihrer Wahlsprüche direkt auf eine Kontrahentin: „Weniger von der Leyen, mehr von der Freiheit“. Diese offensive Gangart dürfte nicht von ungefähr kommen. Denn laut den Prognosen drohen den Liberalen herbe Stimmverluste.

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