Wahlkampfschlager Geldentwertung
Von wegen im Schlafwagen ins Kanzleramt: Nach Monaten der Langeweile haben Dramen – echte wie gefühlte – diesen Wahlkampf zu einem gemacht, der seinen Namen verdient. Die Flut. Afghanistan. Und nun: die Inflation! Zumindest hat die Linke das Thema Geldentwertung für sich entdeckt. Plus 3,9% im August, im Freistaat Sachsen gar 4,0%: Für Dietmar Bartsch, Co-Chef der Bundestagsfraktion, Anlass genug, sich in der „Leipziger Volkszeitung“ über den Sozialabbau durch die Hintertür zu echauffieren. Die parteiintern umstrittene Sahra Wagenknecht wittert in der „teuren und ineffektiven Klimapolitik der Bundesregierung, die von den Grünen unterstützt wird“, Abzocke zulasten der kleinen Leute. Nach einer Bewerbung für ein Linksbündnis mit Grünen und SPD, für das sich die Parteispitze anbiedert, klingt das nicht.
Vielleicht lindert das die Schnappatmung, in die Unternehmer angesichts von Vorwahlumfragen und Wahlplakaten wie diesem verfallen sind: „Statt Aufstocken: Mindestens 13 Euro pro Stunde“. Dabei müssen die Sachsen für mehr Geld gar nicht ihr Kreuz bei den Linken machen, sie können einfach einen Arbeitsvertrag bei Amazon unterschreiben. Statt der vagen Hoffnung auf höheren Mindestlohn bekommen sie beim Logistikkonzern in der Frachtabfertigung am Flughafen Leipzig 13,84 Euro brutto pro Stunde – „unbezahlbarer Teamgeist“ inklusive. Damit wirbt Amazon auf überlebensgroßen Plakaten. Für manchen Angestellten und Gewerkschafter mag das angesichts wiederkehrender Arbeitskämpfe um Tarifbindung und bessere Arbeitsbedingungen zynisch klingen. Fakt ist: Der US-Konzern stellt ein – auch in seinem gerade eröffneten Logistikzentrum im thüringischen Gera, was laut örtlicher Arbeitsagentur viele Arbeitslose aus der Grundsicherung holt. 12,60 Euro zahlt Amazon Ungelernten im Schichtdienst, bislang lag der Einstiegslohn bei 12 Euro. Frage an Dietmar Bartsch: Ist das noch Inflationsausgleich oder schon der Beginn einer Lohn-Preis-Spirale?
In Leipzig brauchen Beschäftigte jeden Euro, wenn sie umziehen oder gar Wohneigentum erwerben wollen. Die Stadt boomt. Die Nebenwirkungen – stark steigende Kaufpreise und Mieten – sind sozialer Zündstoff, wo Sanierungseifer und Luxusstreben auf eine vitale linke Szene trifft. Besonders in Connewitz: Der bunte Kiez im Süden macht immer wieder Schlagzeilen, wenn Linksradikale Mülltonnen und Autos anzünden. Das Stadtbild prägen Graffitis, die so häufig die politische Gesinnung vieler Einheimischer von Hausfassaden schreien („Antifa“), wie die Linke Wählerstimmen erhält. 2017 kamen so viele zusammen, dass der Förderschullehrer Sören Pellmann per Direktmandat in den Bundestag einzog. Er ist der einzige Kandidat der Linken außerhalb Berlins, dem das gelang. „Keine Profite mit Mieten und Boden“: Mit solchen Slogans will Pellmann es wiederholen. Nahrung für seine Kampagne liefert das Portal Immowelt: In Leipzig, so eine Studie, hätten sich Eigentumswohnungen seit 2016 um mehr als Doppelte verteuert. In keiner deutschen Metropole war das Plus binnen fünf Jahren größer.