Moskau

Was die Geburtenrate bremst und der Vatertag bringt

Russland fehlt der Nachwuchs. Unternehmer erweisen sich laut einer Umfrage als wenig unterstützend bei der Entscheidung für ein Kind, der Staat aber schon. 2002 stieg in der Folge einer Volkszählung die Geburtenrate – dem neu etablierten Vatertag wird dies nicht zugetraut.

Was die Geburtenrate bremst und der Vatertag bringt

Und schon wieder sind die Unternehmer die Bösen. Wäre ja ein Wunder gewesen, wenn sie nicht auch dafür noch herhalten müssten. Nun sind sie hauptverantwortlich dafür, dass nicht mehr Kinder in russischen Familien geboren werden. Denn in einer Umfrage des Allrussischen Zentrums für Meinungsforschung (VCIOM) gaben 43% der Befragten an, dass sie vom Arbeitgeber in der Entscheidung für ein Kind „absolut nicht“ oder „eher nicht unterstützt werden“.

Die Arbeitgeber, sprich Unternehmer, kommen in Russland einfach nie gut weg. Wie auch, wenn sie der staatswirtschaftlich sozialisierte Staatspräsident Wladimir Putin im Vorjahr einmal recht pauschal als „Gauner“ bezeichnet hat? Andere Institutionen des öffentlichen Lebens haben da schon ein besseres Image. Auch in der großen Frage der Reproduktion. Der Staat etwa habe einen guten Einfluss, gaben 77% der Befragten an. Die Ärzte naturgemäß mit 64% ebenso wie – wohlgemerkt – die Russisch-Orthodoxe Kirche (64%). Die Schule immerhin zu 56%, und die Armee zu beachtlichen 53%. Letzteres kommt dann doch überraschend. In welcher Form die Armee positiv zur Nachwuchsfrage beiträgt, wurde im Detail übrigens nicht erläutert.

Doch Umfrage hin oder her: Am vergangenen Freitag startete die große russische Volkszählung. Genauer gesagt, ihre intensive Phase, denn in den entfernt gelegenen Gebieten läuft sie aus logistischen Gründen schon seit 1. April. Die zwölfte Volkszählung ihrer Art in den vergangenen 124 Jahren sollte am 14. November abgeschlossen sein. Sie ist insofern besonders, als sie die erste digital durchgeführte ist. Die erste Volkszählung überhaupt fand im Jahr 1897 statt – also zur Zeit des Zaren. Damals umfasste das Russische Reich 125,7 Millionen Menschen. 2010 – bei der bisher letzten Zählung – waren es dann 142,9 Millionen.

Bemerkenswert in der Geschichte dieser Erhebung ist, dass zwei Volkszählungen für ungültig erklärt wurden: Und zwar die aus dem Jahr 1920 aufgrund des Bürgerkrieges und die von 1937, zur Zeit des Großen Terrors. Damals habe man wohl die Ergebnisse zurückgehalten, um das Ausmaß der Stalin’schen Repressionen zu vertuschen, mutmaßt das führende Wirtschaftsmedium „RBC“. In den 1990er Jahren dann hat man die Bevölkerung erst gar nicht gezählt – wohl aufgrund des gesamten postsowjetischen Chaos nach dem Ende der Sowjetunion.

Interessant auch, zu welchen Maßnahmen die bisherigen Volkszählungen geführt haben. 1926 etwa wurde nach der damaligen statistischen Erfassung der Bevölkerung der Fünfjahresplan zur Entwicklung der sowjetischen Volkswirtschaft ausgearbeitet, der dann zum Bau von 3000 neuen Fabriken führte. 2002, unter Wladimir Putin, folgte das gesamte neue Sozialprogramm inklusive des sogenannten „Mutterkapitals“, das ja dann zwischenzeitlich tatsächlich die Geburtenrate erhöhte.

Apropos Mutter. Vor wenigen Tagen hat das offizielle Russland die Väter entdeckt. Anfang Oktober hat Putin in einem Erlass festgelegt, dass zum ersten Mal landesweit ein Vatertag gefeiert wird – am vergangenen Sonntag. In der Hauptstadt Moskau gab es alle möglichen Veranstaltungen wie Vorträge und Gratis-Führungen. Das Ziel des Erlasses ist einfach und klar: Den Männern sollte in der Familie eine höhere Wertschätzung zuteil werden. Und die Familie als Institution sollte gestärkt werden. Die staatliche Statistik weist aus, dass in Russland ungefähr fünf Millionen Kinder ohne Väter aufwachsen. Und die Nachrichtenagentur Tass gibt an, dass etwa 648000 Männer Allein­erzieher eines Kindes sind.

Mit dem Vatertag ziehen die Männer also mit den Frauen gleich, die seit 1998 einen Muttertag haben. Gefeiert wird er nicht wirklich, denn gegenüber dem Internationalen Frauentag am 8. März konnte er sich nicht durchsetzen. Auch der Vatertag wird wohl kaum zum großen Feiertag werden. Er hat in der nationalen Kultur ganz einfach einen starken Konkurrenten: Und zwar den Tag des Vaterlandsverteidigers am 23. Februar. Da feiern die Soldaten wahrlich bis zum Umfallen. Warum also die Armee laut VCIOM-Umfrage eine höhere Geburtenrate in den Familien eher begünstigt als ein normaler Arbeitgeber aus der Privatwirtschaft, bleibt ein großes Rätsel.

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