Wasser – ein rares Gut
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Wasser – ein rares Gut
Der Bedarf steigt, auch durch die Zunahme von KI. Doch sauberes Wasser wird infolge des Klimawandels und zunehmender Verschmutzung immer knapper.
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Von Gesche Wüpper, Oroszlány/Paris
Dutzende von Spindeln und Maschinen, die in einer Halle unter lautem Geratter aus feinen Fäden endlos lange Schnüre flechten: Eine Textilfabrik, könnte man auf den ersten Blick denken. Doch der Eindruck täuscht. Denn die Halle im westlich von Budapest gelegenen Oroszlány gehört zum weltweit größten Werk für Hohlfasermembrane, die für die Ultrafiltration von Wasser verwendet werden. Acht Millionen Quadratmeter solcher Membrane stellen die 1.200 Mitarbeiter hier jedes Jahr her. Tendenz steigend, denn die Nachfrage nimmt immer mehr zu.
„Wasser ist zu einer Herausforderung geworden, der wir uns stellen müssen“, sagt Veolia-Chefin Estelle Brachlianoff. „Das ist eine direkte Folge des Klimawandels. Der Zugang zu Wasser und die Qualität des Wassers werden immer wichtiger.“ Der französische Umweltdienstleister hat das einst von GE Water & Process Technologies gegründete Werk in Oroszlány vor zwei Jahren im Rahmen der Akquistion des französischen Wettbewerbers Suez übernommen. In seinem neuen Strategieplan spielt es zusammen mit den zwei anderen Membranwerken in Minnesota und China eine Schlüsselrolle, da Wassertechnologie einer der drei Wachstumstreiber ist, auf die Veolia für die Zukunft setzt.
Weltweiter Wasserverbrauch steigt
Für die Sparte, die mit 4,7 Mrd. Euro zuletzt 11% des Konzernumsatzes ausmachte, peilt der Umweltdienstleister 2024 bis 2027 eine durchschnittliche jährliche Wachstumsrate von 6% bis 10% an. Das gesamte Wassergeschäft ist mit 41% des Umsatzes die mit Abstand wichtigste Aktivität des Konzerns vor Abfall (32%) und Energie (27%). „Wir sind die Nummer 1 im Wassergeschäft und auch die Nummer 1 bei Wassertechnologien“, sagt Anne Le Guennec. Sie leitet bei Veolia die Sparte Wassertechnologie.
Nicht nur der Klimawandel, sondern auch die Verschärfung der Konflikte im Nahen Osten, die steigende Zahl von Rechenzentren und das Bevölkerungswachstum ließen den Wasserbedarf weiter steigen, warnt auch Nacho Moreno, der Chef des spanischen Versorgers Cox Energy. Der Anstieg von KI-Anwendungen dürfte den Trend verstärken. So schätzt eine Studie der University of California und der University of Texas, dass für das Training von ChatGPT-3 gut 700.000 Liter Frischwasser benötigt wurden, unter anderem für die Kühlung von Rechenzentren. 2027 könnte die weltweite KI-Nachfrage zu einem Wasserverbrauch von 4,2 bis 6,6 Milliarden Kubikmeter führen, warnen die Autoren.
2,2 Milliarden Menschen ohne sauberes Trinkwasser
Gleichzeitig meldeten große Akteure für generative KI wie Microsoft und Google einen Anstieg des Wasserverbrauchs ihrer Datazentren um mehr als 20% zwischen 2021 und 2022. Beobachter machen dafür die zunehmende Bedeutung von KI verantwortlich. Cox-Energy-Chef Moreno geht denn auch davon aus, dass der Abstand zwischen dem Zugang zu Wasser und der Nachfrage pro Jahr um 40% weiter auseinanderklaffen wird. Deshalb ist er überzeugt, dass die weltweite Wasseraufbereitung um 10% bis 15% zulegen muss.
Der weltweite Süßwasserverbrauch steige jedes Jahr um 1%, heißt es im jüngsten Weltwasserbericht der Vereinten Nationen. Auch wenn 70% des entnommenen Süßwassers auf die Landwirtschaft entfielen, seien vor allem die Industrie und Privathaushalte für diesen Anstieg verantwortlich. Letztere machen 10% des globalen Wasserverbrauchs aus, die Industrie 20%. Etwa die Hälfte der weltweiten Bevölkerung leidet nach Angaben der UN zumindest saisonal unter schwerer Wasserknappheit, ein Viertel ist sogar extrem hohem Wasserstress ausgesetzt und 2,2 Milliarden Menschen haben keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser.
Nachfrage für Entsalzungsanlagen steigt
Dabei ist rund 70% der Erdoberfläche mit Wasser bedeckt. Doch davon sind noch nicht mal 3% Süßwasser und nur knapp 1% Trinkwasser. Deshalb steigt die Nachfrage für Entsalzungsanlagen, die im Vergleich zu früher nach Angaben Veolias inzwischen wesentlich günstiger und energieeffizienter geworden sind. Bereits jetzt gibt es weltweit 22.000 Entsalzungsanlagen. Fortune Business Insights schätzt, dass der Markt dafür bis 2032 von zuletzt 23,8 Mrd. Dollar auf 49,8 Mrd. Dollar zulegen dürfte. Inzwischen seien Entsalzungsanlagen auch in Ländern gefragt, in denen man das nicht vermutet hätte, etwa in England, berichtet Veolia.
Neben der Verknappung bereitet auch die Verschmutzung des Wassers durch bedenkliche Stoffe wie Per- und polyfluorierte Alkylsubstanzen, den sogenannten PFAS, Arzneimittel, Hormone, Chemikalien und Nanomaterialien immer mehr Sorgen. Zu der Verunreinigung tragen auch die vermehrt auftretenden starken Niederschläge bei, die die Pegelstände steigen lassen. Oberflächengewässer sind bei Hochwasser stärker belastet als sonst, da Düng- und Schadstoffe aus Siedlungs- und Verkehrsflächen abgeschwemmt werden. Sie drohen, auch ins Trinkwasser zu gelangen.
Ewigkeitsschadstoffe im Visier
Mikroverunreinigungen seien inzwischen viel besser zu entdecken, sagt Wassertechnologie-Chefin Le Guennec von Veolia. Der Umweltdienstleister hat gerade ein neues Angebot namens Beyond PFAS lanciert. Es soll sowohl helfen, diese auch als Ewigkeitschemikalien bekannten Schadstoffe im Wasser festzustellen und ihre Konzentration zu messen, als auch auf die Situation abgestimmte Lösungen zu entwickeln und umzusetzen.
„Wir sind die einzigen weltweit mit einem so kompletten Angebot“, meint Veolia-Chefin Brachlianoff. Sie will den Umsatz mit Lösungen zur Bekämpfung von Mikroverunreinigungen bis 2030 von zuletzt 50 Mill. Euro auf 1 Mrd. Euro ausbauen. Nachdem Veolia diese Aktivität vor zwei Jahren aus dem Nichts ausgebaut hat, dürfte ihr Umsatz 2024 auf 200 Mill. Euro zulegen. 2030 könnte der weltweite Markt für PFAS-Lösungen zur Behandlung von Wasser pro Jahr mehr als 3 Mrd. Dollar betragen, schätzt der Konzern.
Bewusstsein für PFAS-Problematik steigt
Gerade in Australien und den USA wächst das Bewusstsein für die Problematik dieser 4.700 Moleküle umfassenden Gruppe von Schadstoffen, die nicht nur Wasser und Böden dauerhaft verschmutzen, sondern sich auch in Pflanzen, Tieren und dem menschlichen Körper ansammeln. Laut einem vom US-Institut für geologische Studien erstellten Bericht sind mindestes 45% des Leitungswassers in den USA mit PFAS verunreinigt. In Deutschland lassen sich die Ewigkeitsschadstoffe an mindestens 1.500 Orten nachweisen, ergab eine Recherche von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung.
Die EU-Kommission hat für 20 PFAS Schadstoffobergrenzen für Trinkwasser festgelegt. Diese sollen ab 2026 von den einzelnen Mitgliedsstaaten kontrolliert werden. Die USA wollen ebenfalls Obergrenzen für gewisse PFAS im Trinkwasser definieren. Bisher stammen rund zwei Drittel der Kunden Veolias in dem Bereich aus Australien, ein Drittel aus den USA. Darunter finden sich neben Gemeinden auch Vertreter der Chemie- und Pharmaindustrie sowie Militär- und Zivilflughäfen.
Halbleiterindustrie benötigt reines Wasser
Die Suche nach den PFAS gleiche der nach einem Salzkorn in einem Swimmingpool, weil sie noch viel kleiner als Bakterien seien, sagt Wassertechnologie-Chefin Le Guennec. Dabei helfen die in Oroszlány hergestellten Membrane, die zum Teil an Fadenvorhänge erinnern. Ihre geflochtenen Fäden sind mit einer feinen perforierten Schicht überzogen. Diese mit dem Auge nicht sichtbaren Poren helfen, die Schadstoffe zu filtern.
Die Abwasser-Wiederaufbereitung gehört neben Lösungen, um strategische Metalle wie Lithium zu gewinnen, zu den anderen Wasser-Aktivitäten, die Veolia ausbaut. Der Bedarf an Lithium dürfte sich bis 2030 wegen der Zunahme von Elektroautos nahezu verdoppeln, schätzt der Konzern. Auch reines Wasser ist stärker gefragt, vor allem in der Pharma- und der Chipindustrie. Die Halbleiterindustrie will 5 Mrd. Dollar pro Jahr für Wasser- und Abwassermanagement ausgeben, so Veolia.