Wenn der Spendensammler klopft
Notiert in London
Wenn es vor Weihnachten klopft
Von Andreas Hippin
Wie immer wenn sich Weihnachten nähert, klopft es abends an der Tür. Für die Spendensammler der Wohltätigkeitsorganisationen ist Hochsaison. Studierenden bietet sich in dieser Zeit die Gelegenheit, ein bisschen Berufserfahrung für den Lebenslauf zu generieren und dabei etwas Gutes zu tun. Ab und an bekommt man es aber auch mit schwer abzuwimmelnden professionellen Fundraisern zu tun, die einem klarmachen wollen, wir glücklich man sich schätzen müsse, in einer warmen Wohnung zu sitzen, während andere frieren. Sie kommen gerne später wieder, wenn man gerade keine Zeit hat. Der Umstand, dass es vielen Briten schwerfällt, nein zu sagen, kommt ihnen sehr entgegen.
Enormer Markt
Es ist ein enormer Markt. In England und Wales gibt es der Charity Commission zufolge 169.615 Wohltätigkeitsorganisationen. Nimmt man mit ihnen verbundene Organisationen noch dazu, kommt man auf 184.196. Ihre jährlichen Einnahmen belaufen sich auf mehr als 84 Mrd. Pfund. Der Charitable Aid Foundation zufolge spenden 71% der Briten regelmäßig für wohltätige Zwecke. Rund 6,7 Millionen Menschen sind ehrenamtlich für Spendensammelvereine tätig. An den großen U-Bahnhöfen tummeln sich Scharen von ihnen, oft in merkwürdigen Kostümen, um Aufmerksamkeit zu erregen. Sie wollen nicht nur etwas Kleingeld für ihren Geldeimer. Viel lieber wäre ihnen ein Dauerauftrag.
Engagierte Bürger
Ob es nun um das Kinderkrankenhaus Great Ormond Street geht oder die London Air Ambulance: Bei vielen dieser Themen fragt man sich, ob solche Dinge nicht zur vom Staat sicherzustellenden Grundversorgung gehören. Doch in Großbritannien tun sie es nicht. Also kümmern sich die Bürger darum, oft in vorbildlicher Weise. Da ist etwa die über 70 Jahre alte Nachbarin, die nach einer Brustkrebserkrankung angefangen hat, Geld für die Bekämpfung dieser Krankheit zu sammeln. Sie verkauft dazu allerlei Trödel in ihrer Garage, auf Flohmärkten und Basaren und hat sich ein Ziel von 50.000 Pfund gesetzt. Nach all den Jahren ist sie schon bei 48.000 Pfund angelangt – eine enorme Leistung. Sie werde die Latte aber nicht höher legen, sagte sie bei unserer letzten Begegnung. Dazu sei sie dann doch zu alt. Trotzdem werde sie nicht aufhören, etwas für gute Zwecke zu tun.
In allen Lebenslagen
Andere geben einen Teil ihrer Freizeit auf, um sich um alleinstehende alte Menschen zu kümmern oder Essen an Obdachlose zu verteilen. Manche Unternehmen stellen Mitarbeiter dafür für ein paar Tage im Jahr frei. Solche Aktivitäten verleihen die nötige Bodenhaftung, die durch die zunehmende Virtualisierung von Bürotätigkeiten verloren zu gehen droht. Der Firma verschaffen sie den Ruf, sich nicht nur um ihren Gewinn Sorgen zu machen. Charity ist Teil des britischen Lifestyles. Im Supermarkt wird man an der Kasse häufig gefragt, ob man den fälligen Betrag nicht zugunsten einer Wohltätigkeitsorganisation aufrunden möchte. Schüler werden ständig dazu angehalten, sich zu engagieren.
Nur wenig Betrug
Und trotz der enormen Summen, die Briten spenden, ist Betrug in diesem Geschäft vergleichsweise selten. In den 12 Monaten per Ende Oktober wurden 501 Fälle an Action Fraud gemeldet. Mit 2,7 Mill. Pfund war der dadurch entstandene Schaden gering. Die Betrüger hatten unter anderem Internetpräsenzen im Namen von echten Wohltätigkeitsorganisationen eingerichtet, Phishing-E-Mails verschickt oder über die Sozialen Medien versucht, Geld einzusammeln Auch die Zahl der fragwürdigen Organisationen ist gering, die Empörung über Missbrauch immer groß.
Haushaltsgeräte für Bedürftige
In Zeiten steigender Lebenshaltungskosten spielen Tafelläden und die Second-Hand-Läden vieler Organisationen eine immer wichtigere Rolle. Ihr Angebot beschränkt sich nicht auf außer Mode gekommene Kleidungsstücke. Wenn Kühlschrank oder Waschmaschine den Geist aufgeben, lohnt in Wandsworth ein Besuch bei der British Heart Foundation, wenn man sich keine neuen Geräte leisten kann. Dort findet man neben Möbeln auch Fernseher, Lampen und andere Haushaltsgeräte, die auf ihre Funktionstüchtigkeit geprüft wurden. Für viele Mitarbeiter sind diese Läden der Einstieg oder Wiedereinstieg in eine regelmäßige Tätigkeit. Darüber hinaus erfüllen sie auch einen sozialen Zweck. Man kommt ins Gespräch.
Schnäppchen für Fachkundige
Und wer sich auskennt, findet auch das eine oder andere Schnäppchen unter den Klamotten. In den wohlhabenderen Wohngebieten werden Designer-Klamotten nicht selbst online verhökert. Das hat man schließlich gar nicht nötig. Stattdessen werden sie in den Charity Shop getragen und warten dort auf das fachkundige Publikum, dem natürlich ein anderer Preis abverlangt wird als den Bedürftigen.