Wer bespitzelt wen in Spanien?
Der Gebrauch oder vielmehr der Missbrauch der israelischen Spionagesoftware Pegasus hat in den vergangenen Jahren für zahlreiche Skandale gesorgt. Die Mobiltelefone von Staatschefs wie Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sollen ebenso gehackt worden sein wie die von Anwälten, Journalisten und Menschenrechtsaktivisten in Ländern mit dubiosen Regimen. In Spanien hat die Spyware der Firma NSO, die offiziell nur an Regierungen verkauft wird, nun ein politisches Erbeben ausgelöst, das der linken Minderheitsregierung das Regieren sehr schwer machen dürfte. Am Montag gab das Präsidialamt bekannt, dass Ministerpräsident Pedro Sánchez und seine Verteidigungsministerin Margarita Robles ebenfalls Opfer eines Pegasus-Angriffs waren. Vom Handy des sozialistischen Regierungschefs sollen demnach 2,6 Gigabyte an Daten entwendet worden sein. Die Regierung zeigte den Vorfall am Nationalen Gerichtshof an. Doch wer dahintersteckt, ist unklar. Womöglich könnte der Abhörangriff aus dem Ausland stammen. Der Vorfall ereignete sich nach den Untersuchungen der spanischen Sicherheitsbehörden im Mai und Juni 2021. Zu diesem Zeitpunkt gab es zwischen Spanien und dem Nachbarland Marokko mal wieder eine handfeste diplomatische Krise wegen des jahrzehntealten Konflikts um die Westsahara. Marokko hat bekanntermaßen die Spyware in anderen Fällen eingesetzt. Im März vollzog Sánchez eine überraschende Wende der spanischen Position zur Westsahara und schlug auf den Kurs von Rabat ein.
Der Hackerangriff auf Sánchez und Robles hat in Spanien jedoch mehr Skepsis als Mitleid ausgelöst. Denn nur zwei Wochen zuvor hatte das US-Magazin „The New Yorker“ eine Studie des kanadischen Citizen Lab veröffentlicht, wonach die Handys von mehr als 60 Politikern der separatistischen Parteien in Katalonien und im Baskenland sowie von Anwälten, Aktivisten und sogar Familienangehörigen von Pegasus infiltriert wurden. Die Überwachung fand in den Jahren nach dem illegalen Referendum und der folgenden Unabhängigkeitserklärung der katalanischen Separatisten im Oktober 2017 statt. Die von den Nationalisten geführte Regierung Kataloniens hat aus Protest ihre Kontakte zu Madrid auf ein Minimum reduziert. Die Republikanische Linke Kataloniens (ERC), eigentlich ein Verbündeter der Sozialisten von Sánchez, stimmte im Parlament gegen das Maßnahmenpaket gegen die Folgen des Ukraine-Kriegs – wie Zuschüsse für Benzin. ERC will der Minderheitsregierung so lange die Unterstützung im Unterhaus verwehren, bis die Affäre aufgeklärt wird.
Das schränkt den politischen Spielraum für Sánchez stark ein. Die Separatisten glauben daher, dass die Nachricht von der Bespitzelung der Handys von Sánchez und Robles ein Ablenkungsmanöver vom „Catalangate“ sei. Auch der neue Oppositionsführer von der konservativen Volkspartei, Alberto Núñez Feijóo, hält den Zeitpunkt der Verkündung der Spionage gegen den Ministerpräsidenten für verdächtig. Die Regierung versichert, dass man die Diensthandys von Sánchez und Robles erst im Zuge der Nachricht von der Überwachung der Separatisten überprüft habe und dabei auf die Spuren der Spyware gestoßen sei. Im besten Fall wirft diese Version ein schlechtes Licht auf die spanischen Sicherheitsdienste. In den Medien fragt man sich, warum das Telefon des Regierungschefs nicht schon vor einem Jahr auf Eindringlinge getestet wurde, als etwa die Infiltrierung von Macrons Handy bekannt geworden war.
Der vielschichtige Spionage-Thriller in Spanien wirft viele Fragen auf. Der Nachrichtendienst CNI hat bestätigt, das Pegasus-Programm erworben zu haben. Die Regierung bestreitet offiziell, dass die Spyware ohne die unumgängliche richterliche Erlaubnis eingesetzt wurde. Verteidigungsministerin Robles beseitigte mit Aussagen im Parlament jedoch jegliche Zweifel der Separatisten. „Was soll ein Staat oder eine Regierung denn machen, wenn jemand die Verfassung bricht und die Unabhängigkeit erklärt?“, fragte die frühere Richterin. Darauf gab es sogar aus den Reihen des Koalitionspartners Unidas Podemos vereinzelte Rücktrittsforderungen. Daran hat auch die Tatsache nichts geändert, dass Robles selbst bespitzelt wurde – von wem auch immer.