Einstiegsgehälter

Wettrennen um Talente

Die steigenden Löhne für Investmentbanker in den USA sind auch der wachsenden Konkurrenz durch Technologiefirmen geschuldet.

Wettrennen um Talente

Es verging zuletzt kaum eine Woche, in der nicht irgendeine Investmentbank an der Wall Street deutliche Lohnerhöhungen für ihre Nachwuchskräfte ankündigte. Der Standard für Einstiegsgehälter frischer Uni-Absolventen liegt mittlerweile bei 100 000 Dollar – rund ein Fünftel höher als noch im vergangenen Jahr. Dazu kommt ein satter Bonus, wenn das Geschäft gut läuft, was angesichts der Rekordgewinne in der Branche derzeit zweifellos der Fall ist. Aus reiner Menschenliebe machen die Banken, darunter auch der Wall-Street-Ableger der Deutschen Bank, das natürlich nicht. Wenn sich schon Goldman Sachs, die Bank mit dem vielleicht größten Prestige an der Wall Street, dem Rennen um höhere Gehälter anschließen muss, zeigt das nur, wie hart der Wettbewerb um Talente in der amerikanischen Finanzbranche geworden ist.

Goldman war im Frühjahr ins Gerede gekommen, weil ein Dutzend Analysten, die unterste Hierarchiestufe der Wall Street, „inhumane“ Arbeitsbedingungen öffentlich gemacht hatte. Im Stil einer typischen Präsentation für potenzielle Klienten, inklusive Kuchengrafiken und Trendpfeilen, prangerten die frustrierten Nachwuchsbanker eine durchschnittliche Wochenarbeitszeit von knapp 100 Stunden an. Für Schlaf blieben nur ein paar Stunden, und Zeit für Familie und Freunde gebe es auch kaum. Drei Viertel der Analysten hätten wegen Arbeitsstress schon erwogen, eine Psychotherapie zu beginnen. „Mein Körper schmerzt ständig, und mental bin ich an einem wirklich dunklen Punkt“, wurde einer zitiert. Die anonyme Umfrage war nicht repräsentativ, traf aber einen Nerv.

Gleichwohl war die öffentliche Reaktion gespalten. Howard Lutnick, CEO der New Yorker Investmentbank Cantor Fitzgerald, bei der auch der ehemalige Deutsche-Bank-Chef An­shu Jain angeheuert hatte, empfahl Jungbankern kühl, sich doch einen anderen Job zu suchen, wenn ihnen die Arbeit zu viel sei. Am anderen Ende des ökonomischen Spektrums hielt sich das Mitleid mit den an Eliteunis ausgebildeten Leuten in Grenzen, die für gutes Geld in einer Branche starten, die spätere Millionensaläre verspricht. Mexikanische Arbeiter, die in einer Hühnerfabrik irgendwo in den Südstaaten für Mindestlohn Doppelschichten schieben, dürften jedenfalls kaum verstehen, worüber die jungen Investmentbanker in New York quengeln.

Außerdem ist die Erkenntnis nicht neu, dass das Gleichgewicht zwischen Arbeit und Privatleben in Investmentbanken eigenen Gesetzen folgt. Lange Stunden im Büro und Arbeit am Wochenende sind seit jeher typisch für den ausgeprägten Finanzmachismo der Wall Street. Das gilt als Nachweis für die nötige Härte sowohl im internen als auch im Wettbewerb mit anderen Firmen. Kunden erwarten, dass die Deals rasch fertig sind. Dies müsse man eben wissen, wenn man Investmentbanker werden wolle, findet Lutnick – ganz entsprechend dem alten Motto der Wall Street: Work hard – play hard. Mit dem Spiel war es angesichts der Pandemie aber nicht weit her. Die Banker mussten isoliert zu Hause arbeiten. Dazu kommt die extrem hohe Schlagzahl in einer Flut von Fusionen und Börsengängen. Das alles hat den mentalen Druck verschärft.

Weil das Geschäft brummt, wollen die Banken nun mehr Personal einstellen, um ihre Mitarbeiter etwas zu entlasten. Das erklärt das finanzielle Anreizmittel höherer Gehälter. Allerdings konkurrieren die Investmentbanken nicht nur untereinander um Talente. Auch Private-Equity-Gesellschaften werben ganz gerne mal junge Analysten von Investmentbanken ab. Die größte Konkurrenz sind aber die Technologiefirmen. Die Banken, bei denen Technologie auch eine immer größere Rolle spielt, konkurrieren mit Google oder Facebook um die gleichen Absolventen. Das hatte in den vergangenen Jahren bereits zu einer Lockerung der Kleiderordnung in den Banken geführt. Finanzinstitute können sich auch nicht mehr darauf verlassen, dass die Talente vielleicht nicht ins kalifornische Silicon Valley ziehen wollen und New York eine bessere Spielwiese nach einer harten Arbeitswoche bietet. Die Tech-Giganten sind mittlerweile alle selbst in New York vertreten – und zahlen ausgesprochen gut. Im vergangenen Jahr war die Zahl der offenen Stellen in der Technologiebranche doppelt so hoch wie im Finanzsektor. Facebook hatte vor einem Jahr – mitten in der Pandemie – einen Mietvertrag für die umgebaute ehemalige Hauptpost an der Westseite von Manhattan unterschrieben. Das massive Gebäude bietet Platz für Tausende Mitarbeiter. Hält der wirtschaftliche Aufschwung an, dürfte der Wettbewerb um Talente an der Wall Street eher rauer werden.