Wider die „ausländischen Agenten“
Just am 12. Juni, dem russischen Nationalfeiertag, der ja eigentlich „Tag der Ratifizierung der Deklaration über die Unabhängigkeit Russlands“ von der Sowjetunion im Jahr 1990 heißt, hat das Internetmedium VTimes sein Erscheinen eingestellt. VTimes war nicht irgendwer, es war wohl die beste Redaktion, überwiegend aus Wirtschaftsredakteuren, gegründet erst im vergangenen Jahr – und auch das aus der Not heraus. Zuvor nämlich hatte diese bemerkenswerte Mannschaft seit 1999 die Wirtschaftstageszeitung „Wedomosti“ produziert. Diese war – neben dem Wirtschaftsmagazin „Forbes Russia“ – der Leuchtturm der Wirtschaftspublizistik internationalen Top-Niveaus in Russland, was unter anderem damit zu tun hatte, dass die längste Zeit die „Financial Times“ und das „Wall Street Journal“ Mitherausgeber von „Wedomosti“ waren.
Im vergangenen Jahr aber räumte der Kreml bei besagter „Wedomosti“ auf, setzte einen neuen Chef ein und nahm das Blatt an die Leine. Die Stammmannschaft kündigte – und gründete VTimes. Aufmüpfige und innovative Leute müssen in Russland flexibel sein, und sind es auf erstaunliche Weise auch. Schnell erzwungene Arbeitsplatzwechsel gehören zum Alltag.
Bemerkenswert ist übrigens, mit welcher Methode man heute in Russland ein unabhängiges Medium außer Gefecht setzt. Und zwar ganz einfach, indem es vom Justizministerium zu einem „ausländischen Agenten“ erklärt wird. Damit muss dann jeder Artikel folgendermaßen gekennzeichnet sein: „Diese Mitteilung (dieses Material) wurde erstellt und (oder) verbreitet von einem ausländischen Massenmedium, das die Funktion eines ausländischen Agenten erfüllt, und (oder) von einer russischen juristischen Person, die die Funktion eines ausländischen Agenten erfüllt.“
Ein solches Etikett zerstöre ganz einfach das Geschäftsmodell, schreibt VTimes in ihrem Abschiedsbrief an die Leser: Die Inserenten und Partner seien ratlos, wie sie mit einem „ausländischen Agenten“ kooperieren sollen. Und noch etwas sei fatal: Informanten unter den Beamten, Geschäftsleuten, ja sogar Analysten hätten Angst, einem „ausländischen Agenten“ gegenüber einen Kommentar abzugeben.
Nun ist der Umgang des offiziellen Russland mit seinen Medien seit jeher heikel und verkrampft. Immer wieder hat das die Bevölkerung auch mit dem landesüblichen schwarzen Humor quittiert. So erinnert man sich nicht zufällig unter Putin an die alte Anekdote, in der Hitler und Napoleon bei einer Militärparade am Roten Platz sitzen und Hitler meint: „Mit diesen Raketen hätte ich den Krieg gewonnen.“ „Und mit einer solchen Presse hätte die Welt nie von Waterloo erfahren“, kommentiert der kleine Franzose die Lektüre der Zeitung „Prawda“. Ein gängiger Scherz besagt übrigens, dass die Meinungs- und Pressefreiheit in Russland insofern gewahrt sei, als man ohnehin keinem Medium glaube – und wenn doch, dann allen gleich wenig.
In Wirklichkeit freilich ist die Situation sehr wohl dramatisch, weil auch für die Wirtschaft folgenschwer, wie Konstantin Sonin, der an der University of Chicago und an der Moskauer Higher School of Economics lehrt, kürzlich in einem Radiointerview erklärte: „Es sind die Repressionen, die inzwischen zum Hauptgrund für die Stagnation geworden sind. Wenn Medien als ‚ausländische Agenten‘ gebrandmarkt werden und weder Korruption noch andere Ineffizienzen aufdecken dürfen, funktioniert ein Hauptmechanismus für den Fortschritt nicht mehr.“
Der Feldzug gegen die Medien unter Putin hat mit „Wedomosti“ und VTimes eine neue Qualität erreicht. Zuvor hatte die Gleichschaltung in erster Linie im Fernsehen stattgefunden, und die feindlichen Attacken im Printbereich beschränkten sich auf deklariert oppositionelle Publikationen. Dass man „Wedomosti“ so lange in Frieden ließ, lag Branchenkennern zufolge daran, dass auch das Establishment eine relativ realistische Rückmeldung von unten lesen wollte. Es war gesellschaftlich ungefährlich, da die Auflagen solcher Medien deutlich unter 100000 blieben. Nun gehen die Machthaber eben auch hier auf Nummer sicher. Die Angst des Kremls, etwas plötzlich nicht mehr im Griff und unter Kontrolle zu haben, ist ins Unermessliche gewachsen.